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Die Schattenplage

Die Schattenplage

Titel: Die Schattenplage
Autoren: Brandon Mull
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Daumens schoss Coulter den Kieselstein ab. Der magische Stein schlitterte klackernd über den Boden und blieb einige Meter vor Kendra liegen. Mit brennenden, kalten Augen schwebte Ephira auf den Kiesel zu. Kendra stürzte sich auf den Stein, hob ihn auf und drehte sich zu der näher kommenden Erscheinung um.
    Ephira breitete ihren schattenhaften Umhang weit aus und streckte Kendra die Hände entgegen. Kendra und der Stein leuchteten hell. Sie spürte, wie die Angst über die Oberfläche ihres Körpers kroch, aber sie konnte nicht in sie eindringen. Der Anblick Ephiras war noch grauenerregender als in jener Nacht, da Kendra die Erscheinung durch das Dachbodenfenster zum ersten Mal gesehen hatte, aber Kendra interessierte sich nur dafür, den Kieselstein zu dem Nagel zu bringen.
    Ephira kam näher, die Arme tastend, die Finger ausgebreitet – diesmal würde sie nicht ihre Tentakel benutzen, sondern ihre eigenen Hände.
    Kendra spürte, wie sich Ephiras Finger um ihr Handgelenk schlossen. Als sie nach unten blickte, sah sie Patton auf Händen und Knien auf sie zukriechen. Er war beinahe unsichtbar, das Gesicht ausgezehrt, als sei alle Lebenskraft aus ihm gewichen. Er hob eine Hand und erbot sich stumm, den Stein zu nehmen.
    »Kendra!«, rief Lena mit klarer Stimme hinter Ephira. »Wirf den Kieselstein!«
    Kendra konnte die ehemalige Najade hinter Ephira kaum ausmachen und sah durch die sich kräuselnden Schwaden dunklen Stoffs, wie sie Hand in Hand mit Seth dastand. Es blieb keine Zeit mehr, um lange zu überlegen. Mehrere Gedanken blitzten gleichzeitig in Kendras Kopf auf. Wenn sie noch lange zögerte, würde Ephira den Stein vielleicht zerstören, und sie könnten Kurisock und die Macht des Nagels niemals brechen. Patton schien viel zu erschöpft, um den Baum noch einmal zu erreichen, vor allem jetzt, da Ephira im Weg stand.
    Kendra warf den Kiesel.
    Der Wurf ging fehl, aber Lena machte einen Satz und fing den Stein auf.
    Ephira drehte sich um, ganz und gar auf ihr neues Ziel konzentriert.
    Lena und Seth näherten sich dem schwarzen Baum. Als spüre er die Gefahr, begann der Baum zu beben. Die Äste knarrten und schwankten. Eine Wurzel hob sich, als wolle der Baum weglaufen.
    Patton streckte seiner Frau schwach eine Hand entgegen. »Nein«, wisperte er. Kendra hatte noch nie ein Wort gehört, das verlorener geklungen hätte, besiegter.
    Einige Meter vor dem Baumstamm stieß Lena Seth von sich. Sie sah Patton für einen Moment ins Gesicht, ihre Augen zärtlich, ein schwaches Lächeln auf den Lippen, dann sprang sie. Sie landete unmittelbar vor dem Nagel, bewegte sich ruckartig vorwärts wie eine Marionette, bei der die Hälfte der Fäden durchtrennt worden war. Der Stamm des abscheulichen Baumes bog sich von Lena weg, Äste wölbten sich nach unten, um sie aufzuhalten. Langsam und unter größten Anstrengungen bewegte Lena die ausgestreckte Hand auf den Baumstamm zu, bis der Stein endlich den Nagel berührte.
    Für eine Sekunde schienen alles Licht und alle Schatten in diese beiden Gegenstände hineingezogen zu werden, als wäre die Welt zu einem einzigen winzigen Punkt implodiert. Dann verbreitete sich eine Schockwelle, hell und dunkel, heiß und kalt. Die Schockwelle traf Kendra nicht; sie ging durch sie hindurch und raubte ihr für einen Moment jedwede Fähigkeit zu denken. Jedes Molekül in ihrem Körper vibrierte, dann folgte Stille.
    Benommen kam Kendra wieder zu sich. Ephira kauerte vor ihr, nicht länger geisterhaft und unmenschlich, sondern eine verängstigte, in schwarze Lumpen gekleidete Frau. Sie öffnete die Lippen, als wolle sie sprechen, brachte aber keinen Laut hervor. Ihre großen Augen blinzelten zweimal. Dann zerfielen die Überreste ihrer schwarzen Robe, und ihr Körper alterte, bis sie sich in einer Wolke aus Staub und Asche auflöste.
    Hinter der Stelle, an der Ephira soeben gestorben war, lag der Baum geborsten da, nicht länger unnatürlich schwarz, sondern bis ins Zentrum verfault. In der Nähe des Baums lag reglos ein schleimiger, schattenhafter Klumpen Matsch. Erst als Kendra die Zähne und Klauen sah, begriff sie, dass es das sein musste, was von Kurisock noch übrig war. Nicht weit von dem Baum entfernt lag Seth der Länge nach auf dem Rücken und regte sich schwach. Lena lag mit dem Gesicht nach unten leblos am Fuß des Baumstamms.
    Hinter Kendra kletterte ein wiederbelebter Wolkenschwinge aus der Teergrube. Er humpelte auf seinem verletzten Bein, und sein Körper war klebrig von
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