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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug
Autoren: Eckart Klessmann
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VORWORT
    Der Feldzug, den Napoleon 1812 gegen Rußland geführt hat, ist im Gedächtnis Europas als eine der größten Katastrophen vor den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts bewahrt geblieben. In nur einem halben Jahr gingen etwa eine Million Menschen zugrunde, durch Kampfhandlungen, Klima, Krankheit und Hunger. Die Zahl der Vermißten ist unbekannt, allerdings auch die der Soldaten beider Seiten. Es gibt keine zuverlässigen Quellen. Für beide Seiten existieren im wesentlichen nur Schätzungen.
    In diesem Buch geht es nicht um die militärische Geschichte des Krieges. Sie wird nur erwähnt, soweit sie zum Verständnis des Ablaufs beiträgt. Thema ist das Kriegserleben des einzelnen, dargestellt in Tagebüchern, Briefen und Memoiren. Will man ihren Wert als Augenzeugenbericht beurteilen, so ist zu berücksichtigen, daß die meisten dieser Dokumente erst gedruckt wurden, als die Geschichte dieses Krieges, geschrieben von General Philippe-Paul de Ségur, einem Adjutanten Napoleons, schon vorlag: Histoire de Napoléon et de la Grande-Armée en 1812 , erschienen 1824 und schon bald ins Deutsche übersetzt. General Gaspard Gourgaud hat dann bereits 1825 in einem eigenen Buch Ségurs Darstellung widersprochen und korrigiert. So bestreitet er zum Beispiel die Behauptung, es habe auf dem Rückzug aus Rußland Fälle von Kannibalismus gegeben. Doch gerade sie sind von deutschen Augenzeugen so häufig bemerkt worden, daß daran nicht zu zweifeln ist. Ségur wie Gourgaud waren Adjutanten resp. Ordonnanzoffiziere Napoleons, verfügten als Generalstäbler zwar über viele Informationen, haben aber selber kaum dasElend, das den meisten Soldaten widerfuhr, hautnah zu spüren bekommen. Dennoch setzte das Buch von Ségur Maßstäbe in der Darstellung und natürlich auch in der Wiedergabe des ganzen Kriegsgeschehens.
    Am zuverlässigsten sind die Briefe in die Heimat. In welchem Maße sie bei der Drucklegung durch ihre Verfasser redigiert worden sind, wissen wir nicht. Auffallend ist, daß der württembergische Leutnant Christian von Martens bei der Veröffentlichung seines Tagebuchs 1862 gelegentlich Formulierungen aus dem Erlebnisbericht eines 1831 gedruckten Bandes eines anderen württembergischen Leutnants übernimmt und dieser wiederum Sätze aus den Erinnerungen eines Militärarztes. Solche Entlehnungen finden sich auch in französischen Quellen. Über allen steht als Richtschnur das Standardwerk Ségurs.
    Die Gründe für Napoleons Scheitern in Rußland sind vielfältig. Neben dem extremen Klima und der schier unermeßlichen Weite des Landes zeigte sich auch das Völkergemisch seiner riesigen Armee von 1812, das sich nicht verstand und untereinander rivalisierte, den Anforderungen dieses Krieges nicht gewachsen. Wirklich motiviert waren – trotz unbestreitbaren deutschen Engagements – eigentlich nur die Franzosen, die jedoch in der Minderheit waren und sich obendrein oft arrogant den anderen Nationalitäten gegenüber verhielten. Und das wirkte sich auch auf die Disziplin aus.
    Die Arroganz, mit der die Franzosen andere Nationalitäten, besonders die Deutschen, behandelten, spürt man auch in den schriftlichen Zeugnissen, zum Beispiel in den Erinnerungen Marbots. Es ist schon kurios, wenn großmütig deutschen Soldaten innerhalb eines Gefechts eine Leistung gerade einmal als Hilfstruppen der Franzosen zugebilligt wird, wenn Franzosen gar nicht bei den Kampfhandlungen dabei waren, wie er dem Leser suggeriert. Auch für Ségur ist diese Haltung ganz normal. Die entscheidende Eroberung der großen Schanze in der Schlacht von Borodino ist für ihn selbstverständlicheinzig der Leistung französischer Kürassiere zu verdanken. Dabei wäre dieser Erfolg gar nicht möglich gewesen ohne die Beteiligung von zwei sächsischen und zwei westphälischen Kürassierregimentern, zusätzlich noch unterstützt von polnischer Kavallerie.
    Diese Rivalität fehlt in der russischen Armee, von persönlichen Intrigen abgesehen. Zar Alexanders Heer war homogen, auch wenn an der Seite der Nationalrussen mit gleicher Tapferkeit Tartaren, Baschkiren und Kalmücken kämpften. Hier wehrte sich ein ganzes, obendrein stark religiös motiviertes Volk gegen gottlose Invasoren, die nicht nur in sein Land eingedrungen waren, sondern es auch grausam verwüsteten und ausplünderten.
    In diesem Buch kommen 82 deutsche, schweizerische, französische und russische Augenzeugen zu Wort. Einer von ihnen, der württembergische Infanterie-Leutnant Christian von
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