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Die Saga vom Eisvolk 03 - Abgrund

Die Saga vom Eisvolk 03 - Abgrund

Titel: Die Saga vom Eisvolk 03 - Abgrund
Autoren: Margit Sandemo
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eingebrockt!«
    »Ja, Kein Wunder, daß er keine weisen Frauen kennt! Er hat sie alle zum Tode verurteilt. Deshalb habe ich dich gebeten, den Mund zu halten.«
    »Aber ich konnte nicht anders, Dag. Ich fühle, daß das Kind noch lebt und daß es ihm schlecht geht. Das war im ganzen Zimmer zu spüren. Es ist, als wehklagte es aus allen Wänden.«
    »Wir können nur hoffen, daß du den Jungen auch findest«, sagte Dag mit beunruhigter Stimme.

2. KAPITEL
    Der Graf kam zurück. »Ich habe meiner Frau das Mittel gegeben«, sagte er kurz. »Und ich habe den Dienern gesagt, daß wir ungestört sein wollen. Ihr habt recht, in Henriettes hysterischem Zustand würde sie sofort alles zum Fenster hinausschreien. Hier habe ich ein kleines Spielzeug gefunden, das mein Sohn beim Schlafen immer im Arm hält. Alles andere ist gewaschen.«
    Sol nahm die weiche Flickenpuppe entgegen. »Die ist aus Stoff, das ist gut. Kann ich mich hinsetzen?«
    »Selbstverständlich. Verzeiht meine Unaufmerksamkeit!« Sie setzte sich. »Und nun muß ich Euch bitten, still zu sein.« Im Zimmer wurde es totenstill. Die Geräusche von der Straße konnten nicht hineindringen. Für lange, lange Zeit war er still. Sol hielt die Flickenpuppe hoch an ihr Gesicht. Mit geschlossenen Augen saß sie unruhig da.
    Endlich sprach sie. Ihre Stimme klang monoton, sie flüsterte lost. »Dunkelheit… Kälte. Es ist eng.«
    Der Graf wollte fragen, ob sein Sohn noch am Leben war, aber er beherrschte sich.
    »Er schläft«, sagte Sol, und nun war ihre Stimme wieder normal. »Oder er ist bewußtlos, ich weiß es nicht. Ich spüre Angst, eine enorme Furcht und Einsamkeit. Aber die ist alt, davon merkt er jetzt nichts.«
    Oh, mein Gott, dachte Graf Strahlenhelm. Mehr zu denken, war er nicht in der Lage. Alles erschien ihm so unglaublich, und dann diese junge Frau, die ihm eine verzweifelte Hoffnung gab, die er aber eigentlich hätte verurteilen müssen. Was sollte er tun? Nein, jetzt war er vor allem Vater. Der Beruf war unwesentlich, vollkommen unwichtig in diesem Augenblick.
    Gleichwohl bereitete ihm das Gewissen Qualen. Er war außerstande, die Gedanken weiter zu verfolgen, aber dennoch waren sie vorhanden. Was war mit allen anderen solcher Frauen - die er ohne Gnade im Namen der Gerechtigkeit verurteilt! hatte?
    Sol sprach. Ihre Worte waren eine Mischung aus Fragen an sie und aus Worten, die nur ihr selbst galten.
    »Er ist blond. Schlank, flaumiges Haar. Er kann zwischen einem und zwei Jahren alt sein? Eher zwei, glaube ich. In Samt gekleidet. Purpurroter Samt. Ein breiter Spitzenkragen…«
    Der Graf sandte Dag einen fragenden, verwunderten Blick zu.
    »Ich habe nichts gesagt«, flüsterte Dag die Antwort. Es schien, daß der unglückliche Vater bei diesen Worten neuen Mut schöpfte. Er streckte seinen Rücken, und Hoffnung entzündete sich in seinen Augen, die deutliche Anzeichen von durchwachten Nächten trugen. Er war auf seine Weise ein eleganter Mann. Viel älter als seine Frau, asketisch mager, gepflegt mit scharfem Blick. Nun blickte er seinen sonderbaren Gast gespannt an.
    Sol genoß die Situation. Sie durfte ihre Gaben einsetzen, sie stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die mißliche Lage des Kindes jedoch quälte sie, Unruhe zerrte an ihren Nerven.
    »Die Zeit drängt«, sagte sie ungeduldig. »Die Zeit drängt fürchterlich!«
    »Aber wo ist er?« rief beinah der Graf.
    »Ich weiß es nicht«, zischte Sol. Sie hatte ihre guten Manieren nicht mehr unter Kontrolle.
    »Hat ihn jemand mitgenommen?«
    »Nein, ich spüre nichts Böses. Halt jetzt den Mund, ich habe etwas!«
    Auch der Graf war von dem Geschehen derart in Anspruch genommen, daß er die Weise, in der Sol mit ihm sprach, überhörte.
    Dag war sowohl stolz auf seine Schwester als auch besorgt darüber, wie das Ganze wohl ausgehen mochte. Er war zwar mit Sols und Tengels eigentümlichen Fähigkeiten aufgewachsen, hatte sich aber dennoch nie daran gewöhnen können. Zudem waren solche Fähigkeiten seiner eigenen Persönlichkeit vollkommen fremd. Plötzlich stellte er fest, daß er die Hände im Schoß rang. Worauf hatte Sol sich da nur eingelassen? Wenn das nur gut ausging!
    »Ich sehe einen Haken«, sagte sie nervös und befingerte die Rickenpuppe. »Einen Haken, der ins Schloß gefallen ist.« »Hat ihn jemand eingesperrt?« fragte der Vater des Kindes heiser. »Nein, der Haken liegt im Dunklen.«
    Er wollte schon fragen, wie sie all das zu sehen vermochte, wenn es dunkel war, doch er hatte Angst,
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