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Die Reise Nach Helsinki

Die Reise Nach Helsinki

Titel: Die Reise Nach Helsinki
Autoren: Christiane Gibiec
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Turi. Da hat wohl auch sie Angst
bekommen. Andererseits sagt sie, er sei so schwach und krank, dass
er jeden Augenblick zusammenbrechen könne.«
    »Dann lass uns verstärkt aufpassen.
Aber ich denke, wir sollten der Festgesellschaft und vor allem Anna
vorerst nichts sagen. Meinst du, die Posten bleiben nüchtern, damit
wir uns drauf verlassen können, dass sich niemand
anschleicht?«
    »Ich nehme sie noch mal ins Gebet«,
sagte Eino streng, »außerdem werde ich sie regelmäßig
kontrollieren.«
    Anna kam zurück, und Hugo bemühte
sich, seine Anspannung zu verbergen. Zusammen mit der
Festgesellschaft gingen sie zum Ostseeufer, wo Carl Soderberg das
Johannisfeuer anzündete. Die Soderberg-Söhne schenkten pirtu aus, die Kinder
sangen Lieder und führten kleine Sketche auf. Hugo blieb
aufmerksam, Eino verschwand immer wieder Richtung Straße, aber der
Rest der Runde feierte fröhlich. Rund um die Bucht herum und auf
der Insel Räholmen loderten ebenfalls Feuer auf, über das Wasser
wehten Musikfetzen herüber.
    Nachdem die Kinder ihre Vorführungen
beendet hatten, stellte sich eine Zwei-Mann-Kapelle auf, bestehend
aus Geige und Akkordeon, und begann zu spielen. Sie tanzten zu
einer Volksweise im Kreis, dann intonierten die Musiker eine Polka.
Terttu und Emil schössen mit vorgestreckten Armen über das
Holzparkett, der Rest der Gesellschaft galoppierte johlend
hinterher. Die Musik raste, das Akkordeon dröhnte lange, tiefe
Basstöne und einen schrillen Rhythmus, über dem die Geigentöne zum
Himmel jubelten. 
    Anna war nach der Polka schwindelig,
sie zog Hugo auf einen der Baumstämme, die um das Feuer gelegt
waren. Späße flogen hin und her, deutsche und finnische
Scherzlieder wurden gesungen, alle lachten und kreischten
durcheinander. Lasse Soderberg brachte die Fleischwurst auf einer
großen Platte, sie steckten sie auf Stöcke und brieten sie in der
Glut des Feuers.
    Die Dämmerung zeigte die Mitternacht
an, die Sonne hatte sich unter den Horizont geschoben, und in ihrem
Widerschein leuchteten der Himmel und die Gesichter, als käme das
Licht aus einer fernen Welt. Die Musiker machten eine Pause, die
Kinder sprangen um das Feuer und stocherten in der Glut nach
Kartoffeln, die sie vor Stunden zum Braten hineingelegt hatten.
Anna saß im Arm von Hugo, der Alkohol wirbelte ihr durch das
Blut.
    Klagend stieg ein sirrender
Geigenton in die Luft, das Akkordeon skandierte hart und
schleifend, mit hohem, strahlendem Tenor stimmte der
Akkordeonspieler einen schleppenden Tango an.
    »Der Lieblingstanz der Finnen«,
flüsterte Anna Hugo zu, »dabei werden sie verrückt, da kommt alles
zum Ausbruch, was sonst unterdrückt wird, das ganze Chaos, die
ganze Sentimentalität.«
    Emil Hohenstein erhob sich
leichtfüßig, forderte Terttu mit einer vollendeten Verbeugung auf
und reichte ihr den Arm. Sie tanzten Wange an Wange, mit
vorgestreckten Armen, einknickenden Beinen, zierlichem Terttu-Fuß
in beknopften Stiefeln, eleganten Drehungen, plötzlichem,
militärisch-präzisen Kopfdrehen, glitzernden, hellen, hin- und
herfliegenden Terttu-Augen, blitzendem, verzücktem, stahlblauem
Emil-Blick, schwitzend, konzentriert. Sie tanzten selbstvergessen
vor dem Feuer, kein anderes Paar wagte sich in die Mitte, atemlos
standen die Zuschauer in einem weiten Halbkreis. Die Musiker zogen
das Tempo an und setzten zum Schlussspurt an, zum finale grande, bei dem das
Tangopaar noch einige gewagte Drehungen vollführte und Terttu sich
schließlich mit überstrecktem Rücken hintenüber beugte, während
Emil sie zehn Zentimeter über dem Boden im Arm hielt. Dabei kniete
er vor ihr und beugte sich gefährlich weit nach vorne. Es endete
mit einem furioso des Akkordeons, grell und dissonant, Beifall und Hochrufe
brandeten auf.
    Emil und Terttu verharrten
allerdings in ihrer Position, an seinem schmerzverzerrten Gesicht
und ihrem ratlosen Blick war abzulesen, dass er sich nicht mehr
aufrichten konnte. »Hexenschuss«, keuchte er schließlich, »ich
komme nicht mehr hoch.«
    Hugo lief zu ihm und zog ihn
vorsichtig auf die Seite, Hohenstein ließ sich stöhnend fallen,
Terttu krabbelte unter ihm hervor und beugte sich gleich wieder
besorgt über ihn.
    Anna merkte, wie es hochstieg, sie
machte sich stocksteif und versuchte, dagegen anzukämpfen, aber es
gelang ihr nicht. So stand sie auf und trat einige Schritte zurück,
damit es wenigstens nicht jeder merkte. Sie bebte und schlug die
Hände vor das Gesicht, ihr ganzer Körper zitterte, dann fing sie
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