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Die Reise Nach Helsinki

Die Reise Nach Helsinki

Titel: Die Reise Nach Helsinki
Autoren: Christiane Gibiec
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ebenfalls Platz zu nehmen.
Riikka erbot sich, zu übersetzen.
    Es tue ihnen Leid, dass sie das Fest
stören müssten, begann Oleg, aber Matte Turi habe ihn gebeten, ihm
bei einer Erklärung, die er abgeben wolle, behilflich zu sein, er
bitte die Gesellschaft um Aufmerksamkeit.
    Matte, der dicht neben ihm saß, hob
die Hand und sagte etwas zu Riikka. Sie nahm ihre Tasche und suchte
Mattes rote Lappenmütze heraus, die sie ihm auf den Kopf setzte,
dann ließ sie sich neben ihm nieder, rieb ihre Nase an seiner und
legte ihm den Arm um die Schultern.
    »Matte hat Schuld auf sich geladen,
große Schuld«, sagte Oleg und sah einem nach dem anderen ins
Gesicht, »die meisten von euch wissen schon davon. Ich habe mit ihm
darüber in dieser Mittsommernacht gesprochen, und ihm ist klar
geworden, dass er nicht richtig gehandelt hat.«
    Oleg stand auf und gab Eino Plosila
ein kleines Päckchen.
    »Er hat mir das Gift gegeben, er
bereut seine Sünde und möchte alles tun, um sie wieder gutzumachen,
und er möchte es euch selbst sagen, auf seine Art.«
    Matte hatte die Augen geschlossen
und wiegte sich, von Riikka gehalten, hin und her. Dann kamen Töne
aus seiner Kehle, in auf- und absteigenden, sich verschlingenden
Melodien, rau, klagend und immer wieder nach Atem ringend sang er
seinen joik, den
Riikka nach jeder Strophe übersetzte.
    Vor vielen Jahren kam ein Unglück
über den Lappen Matte Turi, ein Unglück, so unermesslich wie der
schlimmste Schneesturm im Winter, der die Herde umwirft und die
Menschen in ihren Pelzen erfrieren lässt. Alles hat er verloren,
sein Bruder und sein Kind lagen in blutigen Fetzen im Schnee, seine
Schwester in den Fängen des Schnapsteufels, voia, voia, nana, nana.
    Unrecht hat er mit Unrecht
vergolten, der Lappe Matte Turi, bösen Menschen hat er vertraut,
ihren Zaubern und Tränken. Er tat Unrecht, obwohl er Recht tun
wollte, getötet hat er den Mann, der ihm Unglück gebracht hat, zum
Mörder ist er geworden, weil böse Menschen ihm Falsches
eingeflüstert haben, voia, voia, nana,
nana.
    Töte den Ulda, schicke ihm den Zaubertrank,
sagte der Böse, dann wird er dein Kind nicht holen, wenn du ihn
tötest, kommt das Glück zu dir. Dem Mädchen hat Matte Turi den
Vater genommen, der Frau den Mann, der Schwester den Bruder, Böses
hat er mit Bösem vergolten, Unrecht mit Unrecht, voia, voia, nana, nana.
    Nun hat sich der Zaubersperling, der
Bote aus dem Totenreich, auf den Gürtel des Lappen Matte Turi
gesetzt und gesprochen. Seine Tage sind gezählt, und wenn er seine
Sünden bereut, wird er seinen Frieden finden, voia, voia, nana,
nana.
    Matte öffnete langsam die Augen und
fragte Riikka etwas, die auf Anna zeigte. In seinem Blick lagen
Angst, Trauer und flehendes, zärtliches Bitten, er sah Anna an und
sagte etwas, dann sah er wieder zu Riikka. 
    »Mein Vater bittet dich um
Verzeihung für alles, was er dir angetan hat«, sagte Riikka, mit
den Tränen kämpfend, »und auch alle anderen, Minna, der er den
Bruder, Carl und Ulla, denen er den Freund genommen
hat.«
    Matte sah Anna unverwandt an, bis
sie ihm unter Tränen zunickte. Alle wischten sich die Augen, auch
Emil Hohenstein, der die Szene gespannt verfolgt hatte. Während
Oleg und Riikka sich erhoben und Matte aufhalfen, sprach Hugo mit
seinem Vorgesetzten, der zunächst ein strenges Gesicht machte,
schließlich aber, nachdem Terttu sich eingeschaltet hatte, nickte
und sich gottergeben zurücksinken ließ. Carl Soderberg lief zum
Haus, um eine Droschke zu bestellen.
    Vögel zwitscherten im Garten, die
Ostsee schwappte silbrig, die Sonne war den Himmel hinaufgewandert
und schickte ihre Strahlen schräg durch das hellgrüne Laub. Noch
eine ganze Weile leuchtete die rote Mütze, bevor die kleine Gruppe
zwischen den Birkenstämmen verschwunden war.
 

 
    Epilog
    Zwei Tage vor ihrer Abreise aus
Helsinki erhielt Anna Louises Brief, zusammen mit einem Schreiben
von Emma, in dem sie mitteilte, Louise habe sich mit einer
Überdosis Opiumtropfen das Leben genommen. Wenn Anna wieder zu
Hause sei, schrieb sie, liege Louise schon unter der Erde. Sie
werde ihre Schwester in Bad Neuenahr begraben lassen, sie könne
zurzeit nicht nach Elberfeld zurückkehren, und es sei ihr das
Liebste, wenn Anna das Haus und das Geschäft verkaufe. Sie wolle
dort bleiben und ihre Psychoanalyse beenden, die wohl noch einige
Jahre dauern werde. Vielleicht helfe sie ihr, Frieden mit Pekka zu
finden und auch mit ihrer Schwester, die sie in dieser schweren
Zeit allein
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