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41 - Unter heisser Sonne

41 - Unter heisser Sonne

Titel: 41 - Unter heisser Sonne
Autoren: Karl May
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Ein Kaper
    Es war am Maternustag des Jahres 1793. Wochenlang hatte man auf die gesegneten Fluren der Provence das Bibelwort anwenden können: „Der Himmel über dir soll sein wie brennendes Erz und die Erde unter dir wie glühendes Eisen.“ Heute früh aber hatte sich der Horizont mit dichten, kumulierenden Wolken umlagert, deren Säume sekundenlang von zuckenden Blitzen illuminiert wurden, während die krachenden Schläge des Donners die Felsen der Küste erschütterten und an den gischtumspritzten Wogenkämmen ihre Echos zu vertausendfachen schienen.
    Der prasselnde Regen goß in solcher Tüchtigkeit herab, daß ihm keine Kleidung länger als eine Minute zu widerstehen vermochte und wohl jedes lebende Wesen sich schon längst unter ein schützendes Obdach zurückgezogen hatte. Ein einziger nur befand sich im freien Feld. Er schritt die Straße dahin, welche durch Wein- und Olivenpflanzungen nach dem Städtchen Beausset führt. Sein Gewand war leicht und sommerlich gearbeitet; vom Regen vollständig durchdrungen, legte es sich eng wie eine Haut an seine schlanke, kräftige Gestalt; aber das schien ihn nicht im mindesten zu genieren. Sein jugendliches Gesicht lächelte vergnügt in den Gewitterguß hinein, und seine elastischen Schritte waren ganz diejenigen eines Spaziergängers, welcher nicht die geringste Veranlassung, sich zu beeilen, hat.
    Da tauchte vor ihm, an der Seite der Straße, ein kleines Häuschen auf. Zu beiden Seiten der Türe desselben waren je zwei ineinander gesteckte Dreiecke angebracht, und darüber stand in halb verwaschenen Lettern zu lesen: ‚Cabaret du Roussillon‘.
    Er blieb trotz des strömenden Regens ganz gemütlich vor dem Häuschen stehen, schob die Mütze in das Genick, stemmte die Fäuste in die Hüften und betrachtete die Inschrift genau.
    „Cabaret du Roussillon. Ob dieser Roussillon wohl echt sein wird? Das Haus sieht nicht danach aus. Nasser werde ich nicht, wenn ich weitergehe, und ich weiß dann ganz genau, daß ich es mit reinem Gotteswasser zu tun habe. Wasser ist die herrlichste Gabe des Himmels, aber im Wein soll man es nicht finden. Ich werde also weiter segeln und erst in Beausset vor Anker gehen.“
    Schon wandte er sich, um seinen Weg fortzusetzen, als die Tür sich öffnete und eine Person erschien, in welcher man sofort den Wirt erkannte.
    „Eh, mon cher, wohin wollen Sie?“ erklang eine schrille, fette Weinstimme unter der blauen Nase hervor. „Ist es vielleicht geradezu Ihre Absicht, in diesem Wolkenbruch ertrinken zu wollen?“
    „Das weniger“, antwortete der Wandersmann. „Vor diesem Wetter fürchte ich mich nicht, wohl aber vor einem Wolkenbruch aus Ihren Fässern.“
    „Dann kommen Sie getrost herein, denn wir haben ganz denselben Geschmack, und ich bin nicht der Mann, welcher einen guten Bürger mit einem schlechten Wein vergiftet.“
    „So will ich Ihrem Wort glauben und auf fünf Minuten beidrehen. Holla, ein neuer Mann an Bord!“
    Diese letzten Worte sprach er, bereits in die Stube tretend, wo er sich das Wasser möglichst aus den Kleidern schüttelte, ungefähr wie es ein nasser Pudel macht, und dann auf dem Stuhl Platz nahm, den ihm der Wirt herbeigezogen hatte.
    In dem kleinen Raum sah es außerordentlich kriegerisch aus. Er war ganz von Soldaten des Convents erfüllt, und außer dem zuletzt Eingetretenen und dem Wirt gehörte nur ein einziger Gast dem Zivile an; dies war ein Missionspriester vom Orden des Heiligen Geistes, welcher im Jahre 1703 von Abbé Desplaces, Vincent le Barbier und J.H. Garnier in Paris gestiftet wurde. Dieser Priester saß still in seiner Ecke und schien sich mehr mit seinen Gedanken als mit seiner Umgebung zu beschäftigen. Er mußte ein ungewöhnlicher und mit einem ganz besonderen Mut begabter Mann sein, sonst hätte er sich nicht unter diese wilde Soldateska gewagt. Es waren damals in Frankreich bereits alle geistlichen Orden aufgehoben, und man hatte von sämtlichen Geistlichen die Ablegung des Bürgereides verlangt. Wer diesen Eid verweigerte, wurde als Rebell behandelt. Es war eine Zeit der wildesten Anarchie. Wenige Tage nach dem Beginn unserer Erzählung, nämlich am 6. Oktober 1793, schaffte man die bisherige Zeitrechnung ab; am 10. November führte die Pariser Commune den Dienst der Vernunft ein; am 7. Mai 1794 verfügte der Nationalconvent, daß es keinen Gott mehr gebe, und am 24. desselben Monats befahl dieser Convent, daß kein Bürger mehr an die Unsterblichkeit der Seele glauben dürfe. Unter diesen
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