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Die Reise Nach Helsinki

Die Reise Nach Helsinki

Titel: Die Reise Nach Helsinki
Autoren: Christiane Gibiec
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an
zu gickeln, kleine Schreie auszustoßen und dazwischen Luft
einzuziehen. Sie kicherte, bis ihr das Zwerchfell wehtat und die
Tränen aus den Augen liefen.
    Als sie wieder Luft schöpfen konnte,
hörte sie, dass neben ihr jemand genauso unaufhaltsam gackerte und
unterdrückte Lachkaskaden ausstieß. Sie sah zur Seite und blickte
in blaugrüne, eng zusammenstehende Augen in einem dunklen Gesicht
mit breiten, flachen Wangen. In Anna schoss es heiß hoch. Die Frau
trug eine rote Bluse und ein silbernes, gehämmertes Kollier um den
Hals, sie strich ihr glattes Haar, das ihr wie ein Vorhang vor das
Gesicht gefallen war, zurück und reichte Anna die Hand.
    »Guten Abend«, sagte sie mit
trockenem, hartem Akzent, »ich bin Riikka.«
    »Und ich bin Anna.« Anna ergriff die
Hand ihrer Schwester. »Das hast du dir ja vielleicht schon
gedacht.«
    »Er ist gut«, sagte Riikka mit Blick
auf den ächzenden Hohenstein, der sich mit Hugos und Terttus Hilfe
langsam wieder hochrappelte, »so einen Tango hätte ich einem
Deutschen nicht zugetraut, und schon gar nicht so einem Deutschen. Da kann sich
mancher Finne eine Scheibe abschneiden.«
    Sie sahen zu, wie Hohenstein von
Terttu liebevoll an einen Felsen gelagert wurde, Ulla Soderberg und
ihre Schwiegertöchter hasteten zum Haus, um Decken und eine
Wärmflasche zu holen. Anna wusste nicht, was sie sagen sollte, und
sah flehend zu Minna, die ihr beruhigend
zunickte.          
    Riikka ging zu den Soderbergs und
begrüßte sie, dann setzte sie sich zu Minna auf den Baumstamm und
sprach intensiv mit ihr. Minnas Blick erhellte sich, sie lief zu
Eino Plosila, der mit Lina am Ufer stand und das grau schwappende,
manchmal unter imaginären Sonnenstrahlen aufleuchtende Meer
betrachtete, und flüsterte ihm etwas zu.
    Hohenstein wurde mit Decken und
heißen Flaschen versorgt, Terttu setzte sich neben ihn, massierte
ihm zärtlich den Nacken und brachte ihm Wurst und Schnaps. Kalle
und Lasse Soderberg schenkten auch den anderen nach, die Sonne kam
wieder über den Horizont, die Musiker spielten, und die Finnen
tanzten singend um das Feuer.
    Riikka zog Anna an der Hand hoch und
reihte sich mit ihr in die Tanzenden ein. Das Hüpfen brachte ihr
Blut wieder in Wallung, und sie zog lachend Hugo in den Kreis, der
zwar mittanzte, aber trotzdem aufmerksam und angespannt
blieb.
    »Wenn ihr zusammenbleiben wollt,
müsst ihr über das Johannisfeuer springen«, sagte Riikka in einer
Tanzpause. »Das verspricht ein langes, glückliches Leben
miteinander.«
    Anna war froh, dass die Hitze ihre
Verlegenheit überdeckte. »Das wird sich erst noch herausstellen, ob
wir zusammenbleiben wollen.« Sie sah Hugo herausfordernd an. »Man
kann ja nicht wissen, wie sich die Dinge im Lauf der Zeit
entwickeln.«
    »Das ist wahr«, grinste Hugo, »aber
ich würde springen. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.«
    Die Musik setzte wieder ein, und sie
tanzten weiter.
    »Bist du schon mal gesprungen?« Anna
schrie die Frage Riikka zu, die sich nicht im Tanz verlor, sondern
wie Hugo die Umgebung im Auge behielt.
    »Nein, und ich glaube auch nicht,
dass ich es jemals tun werde«, rief Riikka über die Köpfe der
anderen zurück.
    Sie lachten, die Musik raste und
stieg mit dem Rauch des Feuers in den hellen Himmel des
Mittsommermorgens.
    *
    Carl Soderberg war der Erste, der
das seltsame Paar bemerkte, das sich, gefolgt von einer Eskorte der
Streifenpolizisten, langsam vom Haus her näherte. Oleg Skrijabin
war bleich, als habe er tagelang nicht geschlafen. Er ging gebeugt,
und seine hellen Augen lagen tief in ihren Höhlen, trotzdem
leuchteten sie von einem inneren Feuer und strahlten großen Frieden
aus. In seinem Arm hing der wesentlich
kleinere Matte, der sich kaum auf den Beinen halten konnte.
Langsam, in winzigen Schritten schob Oleg ihn zwischen den hellen
Birkenstämmen den Abhang hinunter. Matte war ohne Kopfbedeckung, er
trug einen grauen Anzug und ein helles Hemd, seine Haare waren
frisch geschnitten. Auch er war bleich, seine Stirn war mit Schweiß
bedeckt, und auf seinen Händen zeigten sich dunkle Flecken. Aber
auch er strahlte Frieden und Klarheit aus und sah immer wieder zu
Oleg auf, wie ein Kind, das sich durch seinen Vater beschützt
weiß.
    Carl gab den Musikern ein Zeichen,
sie verstummten, die Tanzenden hielten inne und sahen den beiden
überrascht entgegen.
    Es dauerte lange, bis sie das Feuer
erreicht hatten und sich vorsichtig niederließen. Oleg bedeutete
den anderen mit einer Handbewegung,
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