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Die Reise Nach Helsinki

Die Reise Nach Helsinki

Titel: Die Reise Nach Helsinki
Autoren: Christiane Gibiec
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gesehen. Hatten sie den Russen gefunden, und war die
Polizei überhaupt weitergekommen? Vielleicht war der Mord gar nicht
aufzuklären, vielleicht waren alle Anstrengungen vergeblich
gewesen. 
    Ulla wirtschaftete in der Küche, sie
gab Anna und Lina Kaffee und erklärte ihnen das Festmahl, das sich
noch im Rohzustand auf dem Küchentisch türmte: Krabbensuppe,
Reispasteten mit Eierbutter, russischer Salat und frischer Lachs,
den Ulla schon vor drei Tagen gegravt, das heißt mit grobem Salz,
Zucker und frischem Dill mariniert hatte, außerdem eingeweckte
Pfifferlinge, Preiselbeeren und Blaubeertorten. In der Speisekammer
lagen Berge von Kartoffeln und
Fleischwurst, die am Abend im Johannisfeuer gebraten werden
sollten.
    Sie gingen gemeinsam ans Werk,
putzten, schnitten, kochten, brieten und buken mit roten Köpfen
nach Ullas Anweisungen, während die Dienstmädchen den Garten
aufräumten und auf einem ebenen Teil unter den Birken eine große
Tafel aufbauten.
    Am frühen Nachmittag kam Minna, grau
und erschöpft, mit dicken Tränensäcken unter den Augen.
    »Lass uns ein Stück am Strand
gehen«, sagte sie auf Annas aufgeregte Frage, ob sie etwas Neues
wisse.
    Sie liefen den Abhang hinunter und
über glatte, graurote Steine am Wasser entlang. Minna atmete tief,
ihre Hände zitterten, und ihre Stimme gehorchte ihr
kaum.
    »Es zeichnen sich so entsetzliche
Verstrickungen ab, ich weiß gar nicht, wie ich es dir sagen soll.
Matte, du weißt, der Onkel, der Riikka in Lappland großgezogen hat,
ist nach Helsinki zurückgekommen, wir dachten ja, er sei hoch im
Norden. Und vieles sieht danach aus, als habe er … als habe er mit
dem Tod von Pekka etwas zu tun.«
    Sie berichtete stockend von der
Vermutung, dass Matte in geistiger Umnachtung das Päckchen
geschickt haben könnte, von der Rolle Olegs, den Anna ja wohl schon
kenne, und von ihrer Angst, dass der todkranke Matte, dessen Tage
ohnehin gezählt seien, sein Leben unter unvorstellbaren Qualen in
Gefangenschaft beenden müsse.
    »Papa hat auch unvorstellbare Qualen
gelitten«, sagte Anna heiser, »davon spricht keiner.«
    »Natürlich spreche ich davon, mein
Kind, natürlich weiß ich, wie schrecklich und wie vollkommen
sinnlos dein Vater und mein Bruder zu Tode gekommen ist. Aber wenn
Matte es wirklich war, dann wusste er nicht, was er tat, dann hat
er es in einem Anfall von Wahnsinn getan. Ihm ist auch
Schreckliches widerfahren durch Pekka«, sagte Minna leise, »das
darfst du dabei nicht vergessen. Er hat ihm damals das Liebste
genommen, was er hatte, alles, was sein Leben ausmachte. Ich weiß,
dass das keine Entschuldigung ist, eine solche Tat ist nicht zu
entschuldigen. Trotzdem wäre es nicht richtig, ihn in diesem
Gemütszustand ins Gefängnis zu stecken, damit wäre keine
Gerechtigkeit hergestellt. Hinzu kommt, dass auch sein Körper
schwer krank ist, Oleg sagt, er hat nicht mehr lange zu leben. Ihn
jetzt einer Verhaftung und allem, was damit zusammenhängt,
auszusetzen, wäre, als würde man sein Todesurteil unterschreiben.
Ich glaube im Übrigen, dass Pekka auch so denken würde.«
    Anna schluckte, damit mochte Minna
Recht haben. »Dann war er der Lappe, den wir auf der Esplanade
haben singen hören, dann habe ich den Mörder meines Vaters also
schon gesehen. Er sah so lieb und freundlich aus, als könne er
keiner Fliege etwas zuleide tun, er hat so wunderschön gesungen. Es
war dramatisch, als erzähle er eine sehr traurige Geschichte.« Sie
schwieg eine Weile. »Ich muss mich an den Gedanken gewöhnen, Tante
Minna, ich weiß nicht, ob ich ihn einfach so freisprechen
kann.«
    »Darum geht es nicht, es geht nur
darum, dass wir uns richtig verhalten.« Die Frau hinter dem
zitternden Haarvorhang fiel Anna ein.
    »Was ist mit Riikka, weiß sie von
der Sache? Sie ist doch diejenige, der er am nächsten
steht.«
    »Vielleicht fängt sie an, etwas zu
ahnen. Sie hat ihn gestern mit zu Freunden in ein Sommerhaus
außerhalb von Helsinki genommen. Wir müssen gleich mit Herrn Blank
sprechen, wenn die Männer kommen, er hat Oleg zusammen mit Eino
gestern verhört und wird uns sagen, was dabei herausgekommen
ist.«
    Minnas Gesicht entspannte sich. »Er
ist übrigens sehr nett, dieser junge Sergeant.«
    Sie lächelte, und Anna wurde rot.
Schon an dem Abend bei Terttu hatte Minna, als Anna und Hugo aus
dem Wald zurückkamen, ihrer Nichte verständnisinnig zugezwinkert
und ihr die Moosflechten von der Bluse gezupft.
    »Das finde ich auch«, sagte Anna,
»es ist nur alles
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