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Die Rache des schönen Geschlechts

Titel: Die Rache des schönen Geschlechts
Autoren: Andrea Camilleri
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er offensichtlich einer alten Frau entrissen hatte, die hingestürzt war und verzweifelt schrie. Auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig ließ sich Signor Saverio Di Manzo, Inhaber des gleichnamigen Reisebüros, gerade von einem Verkehrspolizisten entwaffnen. Signor Di Manzo, bekanntermaßen ein Dummkopf, hatte den Diebstahl bemerkt und auf die Jungen mit dem Moped zwei Schüsse abgegeben. Er hatte sie verfehlt und dafür ein zehnjähriges Mädchen getroffen, das sich heulend auf dem Boden wälzte und sich das rechte Bein hielt. Montalbano ging auf sie zu, doch ein Mann kam ihm zuvor, schob ihn weg und kniete sich neben das Mädchen. Der Commissario kannte ihn, es war ein Obdachloser, der im Jahr zuvor in der Stadt aufgetaucht war, von Almosen lebte und Lampiuni -Laternenpfahl - genannt wurde, vielleicht weil er so groß und dünn war. Lampiuni hatte rasch die Schnur gelöst, die seine Hose hielt, begann sie fest um den Oberschenkel des Mädchens zu wickeln, blickte kurz zum Commissario auf und befahl: »Halten Sie sie fest.«
    Montalbano gehorchte, fasziniert von der Ruhe und den präzisen Bewegungen des Stadtstreichers. »Haben Sie ein sauberes Taschentuch? Geben Sie es mir und rufen Sie einen Krankenwagen.«
    Doch das war nicht nötig, denn der Fahrer eines Autos, das gerade vorbeigekommen war, lud das Mädchen in seinen Wagen, um es nach Montelusa ins Krankenhaus zu fahren. Vier Carabinieri erschienen, und Montalbano verdrückte sich; er setzte sich in seinen Wagen und fuhr schnell zurück nach Marinella.
    Kaum hatte er die Haustür geöffnet, baute Adelina sich vor ihm auf.
    »Woher kommt das ganze Blut?«
    Montalbano sah auf seine Hände und seine Kleider: Sie waren blutverschmiert, das hatte er gar nicht gemerkt. »Da war... da war ein Unfall, und ich...«
    »Sie legen sich auf der Stelle ins Bett, die Kleider bring ich in die Reinigung. Was fällt Ihnen eigentlich ein? Was müssen Sie aus dem Haus gehen, wenn Sie krank sind? Sie wissen doch, dass man von einer verschleppten Grippe eine Lungenentzündung kriegen kann! Und nach einer verschleppten Lungenentzündung kommt der Tod!«
    Mit der Litanei >Verschleppte Grippe - verschleppte Lungenentzündung ist gleich sicherer Tod< hatte Adelina ihm schon mindestens zweimal in den Ohren gelegen. Er ging ins Bad, zog sich aus, wusch sich und schlüpfte in sein frisch gemachtes Bett. Keine fünf Minuten später kam Adelina mit einer großen dampfenden Tasse herein. »Ich hab ein bisschen Hühnerbrühe gekocht, die ist ganz leicht.«
    »Ich hab keinen Hunger.«
    »Dann stelle ich sie auf den Nachttisch. Ich geh jetzt: Brauchen Sie noch was?«
    »Nein, vielen Dank.«
    Seine Nase war zwar verstopft, aber der Duft der Brühe wehte ihn trotzdem an. Sie war bestimmt köstlich. Er richtete sich halb auf, nahm die Tasse und trank einen Schluck. Die Bouillon war, wie er sie sich vorgestellt hatte, sämig und leicht zugleich, sie rief leise Erinnerungen an Kräuter wach, und er trank sie ganz aus, ließ sich dann mit einem zufriedenen Seufzer in die Kissen sinken und schlief auf der Stelle ein.
    Montalbano hatte das Gefühl, gerade erst eingenickt zu sein, als das Telefon klingelte. Er stand auf und sah dabei zufällig auf den Wecker, der auf dem Nachttisch stand.
    Sieben Uhr? Es war sieben Uhr abends? Wie lange hatte er denn geschlafen? Verwundert nahm er den Hörer ab, es ertönte das Freizeichen. Offenbar hatte der Anrufer aufgelegt. Montalbano wollte sich gerade wieder ins Bett begeben, als es erneut schellte: Es war nicht das Telefon, sondern die Klingel an der Haustür. Er machte auf und stand Fazio gegenüber, der ein besorgtes Gesicht machte.
    »Wie geht's Ihnen, Dottore?«
    »Ich bin ein bisschen krank«, antwortete Montalbano, bat Fazio herein und legte sich wieder hin.
    Fazio setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bett.
    »Sie haben glänzende Augen«, sagte er. »Haben Sie Fieber gemessen?«
    Da fiel dem Commissario ein, dass er am Morgen wegen der Schießerei ganz vergessen hatte, noch mal in die Apotheke zu gehen und ein Thermometer zu kaufen. »Ja«, log er. »Heute Früh hatte ich achtunddreißig.«
    »Und jetzt?«
    »Ich messe später noch mal. Gibt's was Neues?«
    »Eine Schießerei. So ein Idiot, Di Manzo, der mit dem Reisebüro, hat auf zwei Jungen mit einem Moped geschossen, Handtaschendiebe. Die beiden hat er nicht erwischt, dafür hat er ein Mädchen, das gerade vorbeikam, ins Bein getroffen.«
    »Habt ihr ihn festgenommen?«
    »Das haben die Carabinieri
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