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Die Rache des schönen Geschlechts

Titel: Die Rache des schönen Geschlechts
Autoren: Andrea Camilleri
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dem Bett. Er lehnte an dem geschlossenen Fenster und blickte sich um.
    »Hast du was gefunden?«
    »Es gibt ein paar Sachen, die mir nicht klar sind.«
    »Zum Beispiel?«
    »Gerlando Piccolo war seit zwei Jahren verwitwet.«
    »Ach ja? Das wusste ich nicht.«
    »Und da frage ich mich...« ». wer neben ihm im Bett lag, als der Mörder kam?«
    Fazio sah ihn überrascht an.
    »Haben Sie etwa auch gemerkt, dass beide Bettseiten benutzt sind? Da, schauen Sie das Kissen an und wie die Bettdecke auf der anderen Seite liegt.«
    »Entschuldige, Fazio, aber wenn du so was merkst, warum sollte ich es dann nicht merken, und zwar auf den ersten Blick? Sieh dir nur weiterhin alles an und berichte mir dann.«
    Fazio verzog beleidigt das Gesicht.
    »Soll ich die Spurensicherung anrufen?«, fragte er reserviert.
    »Du hast doch eine Uhr. In zehn Minuten rufst du sie an, ohne dass ich dich daran erinnern muss.«
    Der Raum, der an das Zimmer des Toten angrenzte, war ebenfalls ein Schlafzimmer, jedoch unbenutzt. Auf dem Bett lagen nur Matratzen, die Möbel waren von einer Staubschicht bedeckt. Außerdem gab es noch eine abgeschlossene Tür, Montalbano stieß mit der Schulter dagegen, aber sie gab nicht nach. Gegenüber dieser Tür war ein halbwegs ordentliches Bad. Eine weitere Tür führte in ein Zimmerchen, das als Abstellkammer diente. Er kehrte ins Erdgeschoss zurück.
    »Der Espresso ist fertig«, rief Galluzzo aus der Küche. Bevor er eintrat, klopfte Montalbano an Grazias Tür. Keine Antwort.
    »Sie ist im Bad«, sagte Gallo, der sich immer noch im Sessel lümmelte.
    Während Montalbano in der Küche seinen Espresso trank, kam das Mädchen herein.
    Sie hatte sich gewaschen und angezogen und wieder etwas Farbe bekommen. Galluzzo reichte ihr den
    Kamillentee. Sie fing im Stehen an zu trinken.
    »Setz dich doch«, sagte Montalbano, zum Du übergehend. Sie setzte sich. Aber auf die Stuhlkante. Um jederzeit aufspringen und flüchten zu können. Sie wirkte wie ein gehetztes Tier. Unter der Bluse mit dem roten Tuch um die Schultern und dem weiten Rock, lauter Sachen von minderer Qualität, ahnte man ihre gespannten Muskeln. Da tat Galluzzo etwas Unerwartetes.
    »Ist ja gut. Ganz ruhig«, sagte er und streichelte Grazia über den Kopf, als wäre sie ein Tier, das man beruhigen und besänftigen musste.
    Und wie ein Tier reagierte sie mit einem tiefen Seufzer. »Bevor wir anfangen, muss ich wissen, was in diesem abgeschlossenen Zimmer im oberen Stock ist.«
    »Das ist. das war Onkel Gerlandos Büro.«
    »Sein Büro?«
    »Na ja, da hat er die Leute empfangen.«
    »Was für Leute?«
    »Die ihn aufgesucht haben.«
    »Und wozu haben sie ihn aufgesucht?«
    »Sie wollten Geld leihen.«
    Ein Wucherer! Na toll. Das bedeutete Hunderte von möglichen Mördern unter Piccolos Kunden. »Empfing er viele Leute?«
    »Das weiß ich nicht, sie gingen nicht hier durch.«
    »Wo denn dann?«
    »Hinten am Haus gibt es eine Außentreppe, und das Zimmer hat eine Glastür.«
    »Und der Schlüssel?«
    »Den hatte der Onkel immer in der Tasche.«
    Die Kleider des Opfers lagen auf einem Stuhl im
    Schlafzimmer.
    »Galluzzo, geh rauf, hol den Schlüssel, schau dir zusammen mit Fazio dieses Büro an und leg dann alles wieder hin, wie es war.«
    Als Galluzzo hinausging, sah das Mädchen den Commissario an.
    »Wo sollen wir uns hinsetzen?«
    »Zum Reden, meinst du? Das geht doch hier am allerbesten!«, antwortete Montalbano mit einer weiten Armbewegung, die die ganze Küche umfasste. »Ich bin immer hier«, sagte Grazia.
    Der Commissario merkte, dass ihre Stimme fester klang, gewiss fühlte sie sich weniger unsicher, wenn die Befragung in ihrer gewohnten Umgebung stattfand. Er schenkte sich noch einen Espresso ein und setzte sich.
    »Seit wann hast du mit deinem Onkel denn in diesem Haus gelebt?«
    Er holte absichtlich weit aus, er wollte das Gespräch erst dann auf den Mord bringen, wenn das Mädchen in der Lage war, darüber zu reden, ohne hysterisch zu werden. So erfuhr er, dass Grazia das einzige Kind von Gerlando Piccolos Schwester Ignazia war, die mit Calogero Giangrasso, einem kleinen Getreidehändler, verheiratet gewesen war. Mit fünf verlor Grazia ihre Eltern bei einem Autounfall. Sie hatte auch in diesem Auto gesessen, das mit einem Lastwagen zusammenstieß, und eine schlimme Kopfverletzung erlitten, aber im Krankenhaus flickte man sie wieder zusammen. Danach nahmen Onkel Gerlando und seine Frau Titina, die kinderlos waren, sie zu sich. »Mochten sie dich
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