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Die Rache des schönen Geschlechts

Titel: Die Rache des schönen Geschlechts
Autoren: Andrea Camilleri
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in die Küche, schluckte ein Aspirin, fröstelte wieder, dachte darüber nach, schluckte noch eine Tablette, schlüpfte ins Bett und nahm das Buch vom Nachttisch, das er am Abend zuvor mit Vergnügen zu lesen begonnen hatte, Der Kampfhund von Carlo Lucarelli; er schlug es auf und wusste nach den ersten Zeilen, dass das Lesen unmöglich war, er spürte einen eisernen Ring um den Kopf und sah alles ganz verschwommen. Kriege ich etwa Fieber?, fragte er sich. Mit der Handfläche befühlte er seine Stirn, aber er konnte nicht unterscheiden, ob sie heiß war oder nicht, außerdem hatte er das nie begriffen, es war ja nur eine symbolische Geste, doch aus unerfindlichen Gründen machte er das immer so. Er musste unbedingt richtig Fieber messen. Montalbano richtete sich seitlich auf, öffnete die Schublade des Nachtkästchens und kramte darin herum. Das Thermometer war natürlich nicht da. Wo hatte er es hingetan? Wann hatte er zum letzten Mal Fieber gemessen? Wahrscheinlich vergangenes Jahr im Dezember, das war für ihn der gefährlichste Monat, und nicht der, von dem der Dichter spricht. Welcher Monat war für Eliot der grausamste? Ja, jetzt fiel es ihm wieder ein, April ist der grausamste Monat... Oder war es März?
    Poetische Exkurse in Ehren, aber wo steckte das verfluchte Fieberthermometer? Montalbano stand auf, ging ins andere Zimmer, sah in jede Schublade, in die Bücherregale, in alle Winkel. Hinter einem ziemlich schiefen Bücherstapel auf einem wackligen Tischchen lugte ein Foto von ihm und Livia hervor. Er betrachtete es und konnte sich nicht erinnern, wo es aufgenommen worden war. Ihre Kleidung ließ auf Sommer schließen. Im Hintergrund war schemenhaft ein Mann in Uniform zu erkennen, aber er sah nicht nach Militär aus, eher wie ein Hotelportier. Oder war es ein Bahnhofsvorsteher? Montalbano ließ das Foto Foto sein und setzte seine Suche fort. Keine Spur von dem Thermometer. Wieder hatte er Schüttelfrost, diesmal stärker als vorher, gefolgt von einem leichten Schwindelgefühl. Er fluchte. Das Thermometer musste unbedingt her. Das Ergebnis der Sucherei war, dass es nach einer Weile im Haus aussah, als hätte eine randalierende Einbrecherbande gewütet. Dann wurde Montalbano plötzlich ruhig: Was kümmerte ihn der Fiebermesser eigentlich? Wenn er wusste, wie hoch sein Fieber war, würde sich sein Zustand auch nicht bessern. Sicher war nur, dass er krank war, basta. Er legte sich wieder ins Bett. Da hörte er, wie ein Schlüssel im Schloss umgedreht wurde, und gleich darauf stieß Adelina, seine Haushaltshilfe, einen schrillen Schrei aus.
    »Madonna biniditta! Die Einbrecher waren da!«
    Montalbano stand auf und beruhigte die Frau eilends, die ihn während seiner wirren Erklärung aufmerksam musterte.
    »Jedenfalls sind Sie krank.«
    Montalbano antwortete mit einer Frage, die zugleich eine Bestätigung war.
    »Weißt du, wo der Fiebermesser ist?«
    »Finden Sie ihn nicht?«
    »Wenn ich ihn gefunden hätte, würde ich dich nicht danach fragen.«
    Entrüstet pumpte Adelina sich auf.
    »Wenn Sie ihn nicht finden und dabei das Zimmer auf den Kopf stellen, dass es aussieht wie nach einem Erdbeben, wie soll ich ihn dann finden?«
    Beleidigt und empört verzog sie sich in die Küche. Montalbano sah sich schon verloren. Allein weil er davon geredet hatte, kehrte plötzlich die fixe Idee zurück, dass er ein Fieberthermometer brauchte. Unbedingt. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich anzuziehen, in die Apotheke zu fahren und eins zu kaufen. Er ging auf Zehenspitzen, damit Adelina nichts merkte, denn sie hätte bestimmt Ärger gemacht und ihn ans Bett gefesselt, damit er das Haus nicht verlassen konnte. Die erste Apotheke hatte keinen Dienst. Er fuhr weiter ins Zentrum von Vigata, parkte vor der Farmacia Centrale und wollte aussteigen. Er sank in den Sitz zurück, weil ihn heftiger Schwindel überkam und ihm außerdem leicht übel war. Schließlich raffte er sich auf, betrat die Apotheke und stellte fest, dass er warten musste, denn bei der Grippewelle war anscheinend die halbe Stadt krank. Als er an der Reihe war und gerade den Mund aufmachen wollte, krachten draußen auf der Straße, doch ganz in der Nähe, zwei Schüsse. Obwohl er vom Fieber ziemlich benommen war, stand der Commissario im Nu vor der Apotheke, und seine Augen waren wie eine Filmkamera, klare Bilder prägten sich ihm ein. Linker Hand raste ein Moped mit zwei Jungen davon, und der Bursche hinter dem Fahrer hielt eine kleine Tasche in der Hand, die
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