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Die Rache des schönen Geschlechts

Titel: Die Rache des schönen Geschlechts
Autoren: Andrea Camilleri
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gern?«
    »Sie brauchten eine Dienstmagd.«
    Das sagte sie einfach so, ohne jeden Unterton von Groll oder Verachtung. Sie stellte es nur fest. »Haben sie dich zur Schule geschickt?«
    »Nein. Im Haus gab es immer was zu tun. Lesen und schreiben kann ich nicht.«
    »Bist du verlobt, hast du einen Freund?«
    »Ich?«
    »Schon gut, sprich weiter.«
    Als Grazia fünfzehn war, starb Tante Titina. »Woran ist sie gestorben?«
    »Der Arzt hat gesagt, am Herzen. Sie war herzkrank.«
    Doch von da an wurde alles besser. »Hat die Tante dich schlecht behandelt?«
    »Immer. Und sie hat so viel von mir verlangt.«
    Der Onkel war nicht unfreundlich zu ihr, er hatte sie sogar ganz gern und verlangte nicht, dass ein Topf mindestens fünfmal hintereinander gereinigt wurde. Und manchmal gab er ihr auch Geld, damit sie in die Stadt fahren und sich etwas kaufen konnte, woran sie Spaß hatte. »Jetzt erzähl mal, was passiert ist. Schaffst du das?«
    »Ja.«
    Sie wollte gerade anfangen, als Galluzzo in der Tür erschien.
    »Dottore, das Zimmer ist jetzt offen. Wollen Sie es sich ansehen? Ich bleibe so lange hier.«
    Das Zimmer war, wie Grazia gesagt hatte, als Büro eingerichtet. Es gab einen Schreibtisch, zwei Sessel, ein paar Stühle, einen Karteikasten. Und hinter dem Schreibtisch einen solide aussehenden Wandtresor. »Ist er zu?«, fragte Montalbano Fazio. »Abgeschlossen.«
    Der Commissario öffnete die Glastür, die mit einer Eisenstange gesichert war. Sie führte auf die Außentreppe, von der Grazia gesprochen hatte. Die Kunden konnten empfangen werden, ohne durch die Haustür zu gehen. »Schließ mal den Tresor auf, da sind sicher die Namen von Onkel Gerlandos Kunden drin.«
    »Galluzzo hat gesagt, dass er Geld verlieh.«
    »Schreib dir vier oder fünf Namen auf, das reicht. Dann bringst du alles wieder in Ordnung, es muss aussehen, als wären wir nie hier gewesen.«
    »Glauben Sie, dass die Mordkommission den Fall bekommt?«
    »Klar, bezweifelst du das? Apropos, hast du angerufen?«
    »Alle. Die sind frühestens in einer halben Stunde da.«
    In der Küche waren Galluzzo und Grazia ins Gespräch vertieft. Sie verstummten, als der Commissario hereinkam. »Kann ich dableiben?«, fragte Galluzzo. »Natürlich. Dann machen wir mal weiter.« Jeden Abend um Punkt zehn schaltete Gerlando den Fernseher aus und ging ins Bett, da konnte die Seifenoper, die gerade lief, noch so dramatisch sein. Das war auch das Signal für Grazia. Sie spülte alles ab, was sie für das Abendessen gebraucht hatten, kleidete sich im unteren Bad aus, ging dann in ihr Zimmer und legte sich schlafen. »Augenblick«, sagte der Commissario. »Wer hat die Haustür abgeschlossen?«
    »Mein Onkel, bevor er zum Essen kam. Das hat er immer gemacht. Er hat abgeschlossen und den Schlüssel an einen Nagel neben der Tür gehängt.«
    Montalbano sah Galluzzo an.
    »Der Schlüssel hängt da. Und die Tür wurde nicht gewaltsam geöffnet. Wahrscheinlich ist er mit einem Zweitschlüssel ins Haus eingedrungen.«
    »Warum sprichst du im Singular? Der Schütze war nicht unbedingt allein.«
    »Doch«, sagte Galluzzo. »Er war allein«, bestätigte das Mädchen. Grazia erzählte, sie sei sofort eingeschlafen. Dann sei sie von einem Krach geweckt worden, auf den sie sich keinen Reim habe machen können. Sie lauschte, aber da sie nichts mehr hörte, dachte sie, der Lärm sei irgendwo draußen gewesen. Sie hatte gerade die Augen wieder geschlossen, als sie laute Geräusche im Zimmer des Onkels hörte. Ihr erster Gedanke war, dass er sich nicht wohl fühle, wie es vor einiger Zeit schon mal passiert sei. »Erklär mir das genauer.«
    Der Onkel aß sehr gern. Einmal hatte er ein Dreiviertelzicklein verschlungen. Nachts war er aufgestanden, er wollte in die Küche und ein bisschen Natron nehmen, aber er hatte es nicht geschafft, es wurde ihm furchtbar schwindlig, und er war hingefallen. »Und was hast du diesmal gemacht?«
    Sie war aufgestanden, in den Morgenmantel geschlüpft und barfuß die Treppe hinaufgerannt. Im Schlafzimmer des Onkels war Licht. Sie sah gleich, dass der Onkel halb im Bett saß, den Rücken ans Kopfteil gelehnt. Sie trat zu ihm und sprach ihn an, aber er gab keine Antwort. Erst da bemerkte sie das Blut am Mund und den Fleck auf der Brust des Onkels. Sie drehte sich rasch um und sah einen Mann durch die Tür verschwinden. Da fiel ihr ein, dass der Onkel in der Schublade des Nachtkästchens einen Revolver hatte, sie holte ihn heraus, rannte hinter dem Mann her und
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