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Die Rache des schönen Geschlechts

Titel: Die Rache des schönen Geschlechts
Autoren: Andrea Camilleri
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junges Mädchen. apropos, wie alt ist sie eigentlich?«
    »Achtzehn.«
    »Sie sieht jünger aus. Ich meinte: Findest du es nicht auch merkwürdig, dass ein junges Mädchen, das aus dem Schlaf gerissen wird und plötzlich einem Unbekannten gegenübersteht, der gerade den Onkel erschossen hat, so mutig und kaltblütig ist, eine Schublade aufzuziehen, einen Revolver herauszuholen und abzudrücken?«
    »Klar ist das merkwürdig.«
    »Ja und?« »Genau das hab ich Grazia auch gefragt, Dottore. Und sie hat geantwortet, dass sie sich erstens vor nichts und niemand fürchtet. Und zweitens hat Gerlando ihr selbst das Schießen beigebracht. Ab und zu musste sie auch üben.«
    »Piccolo, der ein Blutsauger war, ein cravattaro, wie man in Rom sagt, fürchtete anscheinend, dass eines seiner Opfer sich rächen könnte. Er hat vorgebaut. Und seine Nichte konnte zu seinem Schutz beitragen.«
    »Und im Haus war nicht nur dieser Revolver.«
    »Ach nein?«
    »Nein. Erinnern Sie sich an den Sessel, in dem Gallo saß? Hinter der Rückenlehne stand ein Jagdgewehr, und im Büro hatte er eine Beretta in der Schublade. Auf Gribaudos Bitte hat Grazia demonstriert, dass sie mit der Pistole umzugehen weiß, sie hat mit sicherer Hand durchgeladen.«
    Um sechs Uhr abends änderte sich die Lage mit einem Mal.
    »Dottori? Der Dottori Latte mit dem s am Ende will Sie persönlich selber sprechen. Was soll ich machen?«
    Dottor Lattes, der Chef des Stabes im Polizeipräsidium, trug den Spitznamen >Lattes e mieles<, honigsüß, weil er aalglatt und schmierig war und es fertig brachte, einen liebenswürdig anzulächeln, während er am liebsten mit dem Messer auf einen losgegangen wäre.
    »Mein Bester! Wie geht's, mein Bester? Unser lieber Montalbano! Die Familie wohlauf?«
    »Ja, danke.«
    »Ich soll Ihnen vom Herrn Polizeipräsidenten ausrichten, dass Sie den Mordfall Piccolo übernehmen müssen. Aber das dürfte ja ein ziemlich banaler Fall sein.« Je nach
    Blickwinkel. Der ermordete Gerlando Piccolo zum Beispiel würde den Fall vielleicht nicht so bezeichnen. »Absolut banal, Dottore. Ein banaler Einbruch, der sich zu einem banalen Mord ausgewachsen hat.«
    »Bravo! Genau das wollte ich sagen.«
    »Und entschuldigen Sie, wenn ich mich erkühne.«
    Er gratulierte sich, das war der richtige Ton, um Lattes zum Reden zu bringen. »Nur zu, mein Bester.«
    »Warum kann Dottor Gribaudo sich nicht mehr um den Fall kümmern?«
    Lattes' Stimme wurde zu einem vorsichtigen Wispern. »Der Herr Polizeipräsident will nicht, dass sie abgelenkt werden, weder Gribaudo noch Dottor Foti, sein Stellvertreter.«
    »Verzeihen Sie, wenn ich es wage. aber wovon denn abgelenkt?«
    »Vom Fall Laguardia«, hauchte Dottor Lattes und legte auf. Alessia Laguardia, dreißig Jahre alt, hübsch und diskret, betrieb ihr Gewerbe in Montelusa auf höchstem Niveau, zu Hause ebenso wie in ihrem abgelegenen, natürlich illegal gebauten Wochenendhaus dicht an einem griechischen Tempel und mit Blick aufs >große afrikanische Meer<, wie Pirandello, der aus dieser Gegend stammte, es genannt hatte. In diesem Haus war Alessia eine Woche zuvor gefunden worden, massakriert mit sechzig Messerstichen. So weit konnte es sich durchaus um einen banalen Mord handeln, um bei der Ausdrucksweise des Dottor Lattes zu bleiben. Allerdings fand die Polizei ein kleines Notizbuch, nach dem der Mörder vergeblich gesucht hatte und in dem, wie zu hören war, fein säuberlich die topgeheimen Privatnummern zu einigen wohl bekannten Namen aus Montelusa und Provinz vermerkt waren, Namen von Politikern,  Unternehmern, Professoren, Staatsanwälten und anscheinend auch der eines Monsignore, der im Ruch der Heiligkeit stand. Bei einer solchen Angelegenheit konnte man sich das Genick brechen, wenn man nicht äußerst behutsam vorging. Und der Herr Polizeipräsident wollte sein Genick offenbar unversehrt bewahren. »Fazio! Galluzzo!«
    Sie stürzten herbei.
    »Lattes hat angerufen. Wir sollen den Mordfall Gerlando Piccolo übernehmen.«
    Fazio zeigte sich erfreut, Galluzzo seufzte und sagte: »Gott sei Dank.«
    »Wieso?«
    »Weil der werte Chef der Mordkommission Grazia falsch angefasst hat. Und dem armen Mädchen fehlt es gerade noch, von einem bissigen Hund wie Gribaudo verfolgt zu werden«, erklärte Galluzzo. »Also hört zu. Himmel Herrgott noch mal!«
    Fazio und Galluzzo zuckten bei dem lauten Gefluche zusammen.
    »Könnte mir freundlicherweise vielleicht jemand erzählen, wo zum Teufel Mimi steckt? Er hat sich den
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