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Die Rache des schönen Geschlechts

Titel: Die Rache des schönen Geschlechts
Autoren: Andrea Camilleri
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der Commissario mitbekommen hatte, lag das Haus des Verstorbenen - um mit Catarella zu sprechen - ganz einsam, weit draußen auf dem Land. Die Scheinwerfer seines Autos beleuchteten den Streifenwagen des Kommissariats, der vor der offenen Haustür parkte. Gefolgt von Gallo betrat Montalbano einen großen Raum, der Wohn- und Esszimmer in einem war. Alles sauber, ordentlich, anständig. Durch eine der drei Türen, die in das Wohnzimmer führten, kam Galluzzo mit einem Glas
    Wasser herein. Hinter ihm konnte der Commissario eine Küche erkennen. »Wo gehst du hin?«
    Galluzzo zeigte auf die Tür gegenüber. »Zu der Nichte. Das arme Mädchen! Ich hab ihr gesagt, sie soll sich hinlegen.«
    »Wo ist Fazio?«
    Galluzzo wies mit dem Kinn zur Treppe, die in den oberen Stock führte.
    »Du bleibst hier«, sagte Montalbano zu Gallo. »Und was soll ich tun?«
    »Wiederhol das Einmaleins.«
    In dem Zimmer, in dem der Mann erschossen worden war, sah es aus wie nach einem Erdbeben. Aufgerissene Schubladen, Wäsche und Kleidung auf dem Boden, die Schranktüren sperrangelweit offen. Was nicht dazu passte, waren zwei Bildchen, die an der Wand gehangen hatten und jetzt zertreten am Boden lagen, und die Reste einer Muttergottes-Figur, die man gegen die Wand geschmissen hatte. Was sollte ein solcher Vandalismus bei einem Einbruch? Der verstorbene Gerlando Piccolo, ein beleibter untersetzter Mann Anfang sechzig, lag auf einem Doppelbett, den Oberkörper ans Kopfende gelehnt, auf Höhe des Herzens ein großer Blutfleck. Anscheinend hatte er sich noch halb aufrichten können, bevor ihn der Schuss des Mörders endgültig niederstreckte. Seine Augen waren nicht geweitet, nur ein bisschen größer als normal, und blickten verwundert. Aber was soll man auch groß spekulieren, wenn man den Tod kommen sieht, dann ist man entweder erstaunt oder man hat Angst, eine dritte Möglichkeit gibt es nicht. Obwohl es in dem Zimmer recht kalt war, hatte der Mann, als er ins Bett ging, nicht mal sein Unterhemd oder den Pullover, oder was er sonst trug, angelassen. Fazio, der wie ein seine Ware feilbietender  Vertreter neben dem Bett stand, fing den Blick des Chefs auf. »Er ist ganz nackt, er hat nicht mal Unterhosen an.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich hab ganz vorsichtig unter die Decke gefasst. Was soll ich machen, soll ich die Spurensicherung anrufen und den Staatsanwalt verständigen?«
    »Warte noch.«
    Irgendetwas stimmte nicht. Montalbano bückte sich und blickte auf der Seite, wo sich der Tote befand, unter das Bett, und da lagen die Unterhose und das Hemd. Als er sich wieder aufrichten wollte, stockte er, als wäre ihm heimtückisch die Hexe in den Rücken gefahren. Auf dem Boden, zwischen Nachttisch und Bett, lag ein Revolver. »Fazio, hast du den gesehen?«
    »Ja, Dottore.«
    »Den muss der Mörder vergessen haben.«
    »Nein, Dottore. Er lag im Nachttisch in der Schublade. Die Nichte hat ihn da rausgeholt und damit geschossen. Sie hat es mir selbst gesagt.«
    »Und auf wen hat sie geschossen?«
    »Auf den Mörder.«
    »Ich verstehe nur Bahnhof. Vielleicht sollte ich besser mal mit dieser Nichte sprechen.«
    »Das sollten Sie vielleicht«, sagte Fazio geheimnisvoll. Die Nichte war etwa siebzehn Jahre alt und hatte einen dunklen Teint, große schwarze, vom Weinen gerötete Augen, krauses Haar in Überfülle. Sie war sehr schmal, und die Art, wie sie den Commissario ansah, wie sie vom Bett aufsprang, auf dem sie nicht gelegen, sondern gesessen hatte, verriet etwas Wildes, Tierhaftes. Sie trug einen dünnen Morgenrock und zitterte, weil sie fror und unter Schock stand.
    »Mach ihr was Heißes zu trinken«, sagte der Commissario zu Galluzzo.
    »In der Küche ist Kamillentee«, sagte das Mädchen. »Und für mich einen Espresso«, bestellte Montalbano. »Mit Sahne? Mit Grappa?«, witzelte Galluzzo, als er hinausging.
    »Wir müssen miteinander reden. Aber so können Sie nicht bleiben. Ich gehe jetzt für fünf Minuten rüber, und Sie ziehen sich an. In Ordnung?«
    »Danke.«
    »Wie heißen Sie?«
    »Grazia Giangrasso, ich bin die Tochter einer Schwester von Onkel Gerlando.«
    Montalbano ging ins Wohnzimmer. Gallo fläzte sich in einem Sessel.
    »Wie viel ist sieben mal sieben?«, fragte er den Commissario.
    »Neunundvierzig«, antwortete Montalbano automatisch. »Wieso fragst du?«
    »Sie haben doch gesagt, ich soll das Einmaleins wiederholen!«
    Wie witzig seine Leute an diesem Morgen waren! Er ging die Treppe hinauf. Fazio stand nicht mehr neben
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