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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler
Autoren: Tanja Kinkel
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wollten. Und dann …«
    Der Pförtner hielt inne. Er war nicht in der Lage, das zu beschreiben, was die Stadtwachen dem Prior geschildert hatten, die Stadtwachen, die Mario eigentlich hatten festnehmen wollen, aber ihn statt dessen in Santo Spirito abgeliefert hatten. Ihn, oder besser das, was von ihm noch übrig war.
    »Wann ist das geschehen?« fragte der junge Mann, den er als Fra Marios Freund kannte, mit so unmenschlicher Ruhe, daß Fra Daniele zwischen Ablehnung und Bewunderung ob solcher stoischer Selbstbeherrschung schwankte. »Gestern.«
    »Gestern«, wiederholte Richard, oder er glaubte, es auszusprechen. Er konnte nicht einmal spüren, wie seine Lippen das Wort formten. Gestern. Wenn er an dem Tag nach Florenz aufgebrochen wäre, an dem Giovanni de'Medici ihm von dem Umsturz erzählt hatte … oder auch noch am Tag, als er Saviya aus dem Gefängnis befreit hatte … gestern.
    »Ich werde Euch zu ihm bringen«, sagte Fra Daniele freundlich, »aber Ihr, junge Frau, müßt hierbleiben. Es schickt sich nicht für Frauen, das Innere eines Mönchsklosters zu betreten.«
    Mühsam wandte Richard seine Aufmerksamkeit wieder der Gegenwart zu und schaute zu Saviya. In der Tiefe ihrer ruhigen, grünen Augen las er Mitleid, Wissen und eine Spur von Furcht. Also hatte sie recht gehabt. Er hatte die Wahl zwischen Mario und Saviya getroffen, eine Wahl, die er nie hatte treffen wollen, und Saviya fragte sich, ob er diese Wahl bereute und sich gegen sie wenden würde.
    »Das ist meine Frau, Padre«, sagte Richard, »meine Gemahlin.«
    Fra Daniele runzelte bekümmert die Stirn. »Es tut mir leid, aber die Ordensregel läßt in diesem Punkt keine Ausnahmen zu.«
    »Ich warte hier, Riccardo«, sagte Saviya. »Geh zu Mario. Ich werde auf dich warten.«
    Richard war noch nie im Hospital von Santo Spirito gewesen, und doch kam es ihm nicht fremd vor; die Krankenräume des Klosters in Wandlingen waren nach demselben Prinzip gebaut gewesen, hatten dieselbe karge Einrichtung gehabt. Während seiner Kindheit hatte ihn natürlich seine Mutter gepflegt, aber in den Tagen nach ihrem Tod hatte der Abt, der fürchtete, Richard hätte den Verstand verloren, ihn in das Hospital legen lassen. Richard erinnerte sich nur zu gut an die Atmosphäre: Stille, das behutsame Schleifen von Kutten auf dem Boden, der ständige Geruch nach Arzneien, nicht immer unangenehm. Während er schweigend Fra Daniele folgte, war ihm, als würde er schließlich nicht Mario in einem Bett vorfinden, sondern sich selbst.
    In meinem Ende ruht mein Anfang.
    Fra Daniele blieb plötzlich stehen. »Da ist noch etwas, was Ihr wissen solltet«, sagte er mit gesenkter Stimme und näherte seine Lippen Richards Ohr, bis sein Flüstern beinahe unhörbar wurde, »das Schlimmste. Der Prior ist sicher … Wir alle sind sicher … daß die Weißhemdengel nicht so hätten handeln können, wenn sie nicht gewußt hätten, daß sie damit Fra Savonarolas persönlichem Wunsch entsprachen.«
    War das das Schlimmste? Es erschien Richard bedeutungslos. Es spielte keine Rolle mehr, nichts war mehr wichtig bis auf die Gestalt, die er unter dem Fenster des Raumes liegen sah, regungslos, so daß er einen Moment lang befürchtete, Mario sei schon tot.
    Neben Mario saß auf einem kleinen Hocker ein Pfleger, den Richard nicht kannte. Fra Daniele zog ihn beiseite und flüsterte ihm etwas zu, bevor er wieder verschwand. Richard sank neben Marios Lager auf die Knie. »Mario«, flüsterte er, »Mario, ich bin's, Riccardo.«
    Mario konnte ihn nicht sehen. Mario würde nie wieder etwas sehen können, denn die Binde, die um seine Augen gelegt und hinter dem Kopf verknotet war, zeigte blutige Flecken. Aber er war bei Bewußtsein. Als er seinen Arm ausstreckte und nach Richard tastete, fiel Richard die absolute Reglosigkeit des anderen Armes auf; dort, wo er hätte liegen sollen, war keine Falte auf der Decke zu erkennen.
    »Riccardo«, sagte Mario, nicht leise oder gebrochen, sondern laut und klar, so daß der Pfleger zusammenschrak. Für einen Moment berührte seine Hand Richards Gesicht, dann sank sie wieder auf das Bett.
    »Was tust du hier? Habe ich wieder irgendwelche Bücher ausgeliehen, die du lesen möchtest? Ich bin noch nicht fertig mit Marco Polo, Riccardo, noch nicht fertig. Aber das sieht dir ähnlich, deswegen wider allen gesunden Menschenverstand quer durch Italien zu reisen.«
    Seit der Pförtner ihm eröffnet hatte, Mario liege im Sterben, hatte sich Richard in dieselbe hilflose
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