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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler
Autoren: Tanja Kinkel
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und ich brauche ihn sehr dringend.«
    »Nach Florenz?« fragte Cesare mit gerunzelter Stirn, und Richard hätte sich ohrfeigen können. Natürlich war die Nachricht von Pieros Kapitulation längst bekannt. »Habt Ihr vor, zu den Franzosen überzulaufen?«
    Der Tonfall war scherzhaft, aber die Leiche im Raum ermahnte Richard, keinen Scherz Cesare Borgias als harmlos anzusehen. Er schüttelte vehement den Kopf. »Nein. Ich habe einen Freund in Florenz, der in großen Schwierigkeiten steckt.«
    Eine Sekunde lang dachte er, Cesare würde ihm nicht glauben. Doch dann lächelte der Kardinal von Valencia und ging hinter den Schreibtisch zurück.
    »Euer Freund hat Glück«, sagte er, während er ein Blatt zu sich zog, die Feder in die Tinte eintauchte und kritzelte, »und dem alten Orsini wird es kaum etwas ausmachen, wenn wir noch mehr von seinem Papier verschwenden. Bitte.«
    Kardinal Orsini hatte eine Kerze brennen lassen, um das Siegelwachs zu erhitzen, und Cesare brauchte nicht lange, um es ihm gleichzutun. Er preßte seinen Ring auf die schnell erkaltende Masse und gab den Schein Richard, der ihn zögernd in Empfang nahm. Richard konnte das Bedürfnis nicht unterdrücken, ihn sofort zu lesen. Cesare hatte die Anweisung gegeben, Riccardo Artzt, Kaufmann, und ›allen Personen in seiner Begleitung‹ überall Durchlaß zu gewähren. Unterzeichnet war es mit vollem Namen und Titel des Kardinals von Valencia, aber Richard fiel auf, daß Cesare nicht die italienische Form seines Vornamens verwendet hatte, sondern die lateinische. Er blickte auf und begegnete dem spöttischen Blick seines Gegenübers.
    »Kein Hinrichtungsbefehl, wie Ihr seht.«
    »Danke«, sagte Richard aus vollem Herzen. »Vielen Dank.«
    » Aut Caesar, aut nihil «, sagte Cesare Borgia.
    Letztendlich entschied er sich dafür, daß es sicherer war, tatsächlich mit ein paar Wachen im Gefängnis aufzukreuzen. Saviya umarmte ihn ungestüm und heftig, und er barg sein Gesicht an ihrem Hals. Sie sprachen nicht miteinander; Worte wären zu schwierig und gleichzeitig zu unwichtig gewesen. Wie lange es dauerte, bis er mit Saviya im Fondaco angelangt war, wußte er nicht; er wußte nur, daß er die ganze Zeit ihre Hand nicht mehr losgelassen hatte.
    Eigentlich wollte er noch in der Nacht nach Florenz aufbrechen, aber der gesunde Menschenverstand gewann die Oberhand; es würde niemandem etwas nützen, wenn er unterwegs vor Erschöpfung zusammenbrach. Also verbrachten sie diese Nacht noch in Rom, immer noch unfähig, an das Wunder zu glauben, noch am Leben zu sein, aneinander geschmiegt wie Schmetterlinge in ihrem Kokon.
    Am frühen Morgen begann Richard, seine wichtigsten Habseligkeiten zu packen; er fragte Saviya, ob sie nicht auch etwas mitnehmen wollte, und sie verneinte lächelnd. Er hinterließ eine Notiz für Zink, da er ein weiteres Gespräch für überflüssig hielt, und so fand sie die aufgehende Sonne schon auf der alten Römerstraße, die in die Toskana führte.
    Es war nicht schwer, eine Stelle für die kommende Nacht zu finden; angesichts der Jahreszeit bot es sich an, im Freien zu übernachten, und außerdem war es billiger. Als Richard seine Börse untersuchte, um festzustellen, wieviel Geld er noch hatte, stieß er dabei auch auf den römischen Sesterz, den er in den unterirdischen Gängen gefunden hatte. Er hielt ihn in das flackernde Licht des Feuers, das Saviya angezündet hatte, um die Inschrift zu lesen. Eine ganze Minute lang sagte er nichts, dann lachte er.
    »Was ist damit?« fragte Saviya neugierig. Er zeigte ihr die Prägung. Es handelte sich um eine Münze der späten Republik, umrundet von dem Namen des damaligen Machthabers: Caesar.
    Sie blickten einander an, und Richard erkannte, daß die Zeit gekommen war, endlich zu sprechen: Er erzählte Saviya alles und meinte schließlich: »Nur aus Neugier – denn ich glaube immer noch nicht daran –, hast du je versucht, seine Zukunft zu erkennen?«
    Saviya nahm sich Zeit mit der Antwort. Sie zog die Knie an und schlang beide Arme um ihre Beine. »Ja«, erwiderte sie endlich. »Am Ende wartet ein gewaltsamer Tod, aber um das vorauszusehen, braucht man keine besonderen Gaben. Er wird fast alles bekommen, was er sich wünscht, und alles wieder verlieren. Und da ist noch etwas, doch bevor ich dir das erzähle, sag mir, warum wehrst du dich so gegen Prophezeiungen?«
    »Aus mehreren Gründen«, begann er und erinnerte sich schwach, daß Mario ihm einmal eine ähnliche Frage gestellt hatte.
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