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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler
Autoren: Tanja Kinkel
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Betäubung zurückgestoßen gefühlt, die ihn als zwölfjährigen Jungen gefangengehalten hatte, und er hatte keine Worte gefunden, um das auszudrücken, was er Mario sagen wollte. Doch jetzt wurde ihm die Sprache zurückgegeben, und mit ihr die Erkenntnis.
    »Ich bin gekommen, um zu beichten, Mario«, sagte er einfach. Marios Kopf mit den erloschenen Augen wandte sich ihm zu, und Richard fiel ins Lateinische, fiel in die festgelegte Wortfolge, die für ihn, als er sie gelernt hatte, nur ein leeres Ritual gewesen war.
    »Vergib mir, Vater, denn ich habe gesündigt.« Mario streckte erneut die Hand aus, und Richard ergriff sie, fuhr fort, ohne sich um den Pfleger zu kümmern, dessen Gegenwart er sich so wenig bewußt war wie der des Stuhls. »Ich habe gelogen, zu mir selbst und zu anderen. Ich habe gestohlen und betrogen. Ich habe getötet und den Mord an anderen zugelassen.«
    »Bereust du?« fragte Mario, und nur der fester werdende Griff seine Hand verriet, daß ihm das Sprechen sehr schwer fiel, »bereust du aufrichtig und von ganzem Herzen?«
    »Das tue ich.«
    » Ego te absolvo «, sagte Mario. Ein Schauder durchlief ihn, und der Pfleger beugte sich besorgt über ihn. »Vergib du auch mir, Riccardo. Denn auch ich habe mich schuldig gemacht.« Ein Aufflackern seiner alten Spottlust veranlaßte ihn, hinzuzufügen: »Mein eigener Beichtvater würde jetzt sagen, meine größte Sünde war die felsenfeste Überzeugung, immer und überall im Recht zu sein.«
    »Ihr solltet nicht mehr soviel sprechen, Frater«, sagte der Pfleger mißbilligend.
    Mario ignorierte ihn und fuhr fort: »Aber ich hatte immer den Eindruck, Gott … würde das … verstehen.«
    »Wenn nicht, wirst du ihn zweifellos überzeugen«, sagte Richard. Die rissigen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. » Ricardus haereticus . Wirst du mir dabei helfen, Riccardo? Wirst du ihn mit mir zusammen darum bitten?«
    Und er begann leise das Paternoster. Richard und der Pfleger, der sich nun neben ihn kniete, fielen in das Gebet ein.
    » Pater noster qui es in caelis, sanctificetur nomen tuum, adveniat regnum tuum, fíat voluntas tua …«
    Und der ruhige, ehrfürchtige Klang ihrer Stimmen wob nach und nach ein Netz um Mario, das alle Schmerzen von ihm abhielt und ihn einhüllte, für immer sicher, für immer geborgen.
    Saviyas Sympathie für Klöster und Mönche im allgemeinen hatte sich durch ihren Aufenthalt in Rom nicht gerade vergrößert. Sie fühlte sich dort unwohl, sie wollte sich nicht dem Schweigen dieser Mauern überlassen, und während sie mit Fra Daniele auf Richard wartete, ging ihr bald der Gesprächsstoff aus.
    »Sind denn seine Freunde von der platonischen Akademie nicht bei Fra Mario?« fragte sie schließlich.
    Fra Daniele, der immer noch nicht wußte, wie er diese junge Frau einordnen sollte, schüttelte den Kopf. Sie hatte etwas Merkwürdiges und durch und durch Unchristliches an sich.
    »Wißt Ihr es denn nicht, Madonna? Sie sind alle tot. Angelo Poliziano starb als erster, dann Landino und Ficino, und letzte Woche auch noch Pico della Mirandola … seltsam, nicht wahr. Wenn es nicht alles gottesfürchtige Männer gewesen wären, trotz ihrer manchmal ein wenig seltsamen Ansichten, hätte man meinen mögen, sie hätten Lorenzo nicht überleben wollen.«
    »Sie wollten es nicht«, murmelte Saviya wie zu sich selbst. »Das war das Zeichen des Todes über der Stadt, das ich gesehen habe. Eine Welt geht zu Ende, und heute erleben wir ihre letzten Todeszuckungen. Aber«, und sie lächelte mit einem Mal, »eine neue wird geboren, wie Phoenix aus der Asche.«
    Fra Daniele hatte nicht die geringste Ahnung, wovon sie sprach, aber er bekreuzigte sich für alle Fälle. Er war sehr erleichtert, Richard kommen zu sehen, bevor ihm wieder einfiel, was das bedeuten konnte. Er räusperte sich.
    »Ist es …«
    Richard nickte. Die Ruhe in seinem Gesicht, die dem Pförtner vorher so gefühllos und kalt vorgekommen war, hatte nun eine andere Farbe angenommen. Fra Daniele suchte lange vergeblich nach einem Vergleich, bis ihm Fra Mario selbst einfiel. An dem Tag, an dem er das endgültige Gelübde abgelegt hatte, hatte Mario so ausgesehen.
    »Es ist vorbei«, sagte Richard.
    Der Pförtner bekreuzigte sich ein weiteres Mal. »Gott gebe ihm Frieden.«
    Wortlos legte Saviya ihren Arm um Richard, und als die beiden das Kloster wieder verließen, schien es dem Pförtner, als ob der Mann, der doch der größere und kräftigere von beiden war, sich auf das Mädchen
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