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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler
Autoren: Tanja Kinkel
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Richards schlimmste Befürchtungen: Ein aufrecht gehender Mann war auf offenem Gelände gewiß meilenweit zu erkennen.
    Doch zumindest befanden sie sich außerhalb der Stadt; bei meinem Glück in der letzten Zeit, dachte Richard düster, hätten wir auch genau vor dem Tor herauskommen können. Er stellte bald fest, daß niemand sich um sie kümmerte; vor der Stadtmauer hatte sich nämlich einiges Landvolk auf der Flucht niedergelassen. Wahrscheinlich hatte es in Rom keine Aufnahme gefunden, oder die Menschen hofften darauf, ohne große Kriegsverwüstungen bald in ihre Dörfer zurückkehren zu können.
    Zwei Männer mehr fielen nicht auf. Aber ein Pferd zu finden war darum nicht leichter. Die meisten Flüchtlinge hatten Esel vor ihre Karren gespannt. Doch schließlich entdeckte Richards Führer einen kräftigen Ackergaul. Als der Untertan der Königin sich davonschlich, um wie verabredet in einiger Entfernung ein Ablenkungsmanöver zu beginnen, spürte Richard leise sein schlechtes Gewissen. Dieses Pferd war vermutlich das wertvollste Eigentum seiner Besitzer.
    Ein ohrenbetäubendes Klappern drang mit einem Mal durch die stille Nacht, und Richard hörte, wie jemand schrie: »Hilfe, zu Hilfe! Räuber, Mörder, Diebe!«
    Ohne lange zu zögern, trat er aus dem Schatten, band das Pferd los, schwang sich auf seinen Rücken und trieb das widerstrebende Tier an.
    Bis Mittag hatte das Pferd Schaum vor dem Mund, und er selbst fühlte sich dem Zusammenbruch nahe, aber er hatte es geschafft, das päpstliche Lager zu erreichen. Eine großzügige Spende überzeugte die Wachen, daß der verwegen aussehende Kerl in Dienstbotenkleidern tatsächlich jemand sein könnte, der eine Botschaft für Seine Eminenz, den Kardinal von Valencia, hatte.
    »Nun«, sagte Cesare Borgia, nachdem er sich die Zeit genommen hatte, Richard in aller Ruhe zu mustern. »Ihr überrascht mich, Messer Riccardo. Ich erinnere mich zwar, Euch aufgefordert zu haben, Euch bei Schwierigkeiten an mich zu wenden, aber das ist eine Weile her. Der Zeitpunkt ist nicht gerade passend, und um ehrlich zu sein, ich schätze es nicht, wenn man mich warten läßt.«
    »Warum habt Ihr mich dann empfangen?« fragte Richard; er wußte, daß er auf keinen Fall zum kniefälligen Bittsteller werden durfte. Der Kardinal nahm sich aus einer Obstschale einen Apfel, und Richard dachte abwesend: Ist denn jetzt schon die Jahreszeit für Äpfel? Das Messer, mit dem Cesare Borgia die Frucht in zwei Hälften teilte, fing die Sonne ein und leitete ihre Strahlen schmerzhaft in Richards Augen.
    »Ich bin neugierig«, erwiderte der Sohn des Papstes. »Wie kommt Ihr zu diesem Aufzug?«
    »In Rom war ein Kleidertausch erforderlich«, sagte Richard. Das Licht schmerzte in seinen Augen, und plötzlich war er sicher, daß Cesare sich dessen sehr wohl bewußt war.
    »Und was«, erkundigte sich Cesare Borgia, »führt Euch nun zu mir?«
    »Ich dachte«, entgegnete Richard so beiläufig wie möglich, »es wäre vielleicht wichtig für Euer Eminenz, zu erfahren, daß die Orsini im Moment ihr Möglichstes tun, um Euer Eminenz in Verruf zu bringen. Zu diesem Zweck hat Kardinal Orsini jemanden, der Euch bekannt sein dürfte, sowohl der Hexerei als auch der unlauteren Beziehungen mit Euer Eminenz angeklagt und das Ganze vor die Keuschheitskommission gebracht. Der öffentliche Prozeß ist bereits für morgen angesetzt.«
    Das Gesicht, in dem sich, anders als bei seinem Vater, keine Anzeichen von Üppigkeit feststellen ließen, gutaussehend, scharf und erbarmungslos wie ein geschliffenes Schwert, zeigte keine Regung.
    »Wen?«
    »Eine Zigeunerin namens Saviya, Eminenz.«
    Cesare Borgia legte das Messer weg. »Ah«, sagte er leise. Schweigend bot er Richard eine Hälfte des Apfels an. Während Richard dankbar spürte, wie die Säure der Frucht seine Lebensgeister erfrischte, meinte Cesare, ohne zu lächeln: »Ihr seid ein mutiger Mann, Riccardo. Oder habt Ihr noch nichts von den Gerüchten gehört, die mich beschuldigen, ich hätte diesen Narren Giovanni Sforza vergiften wollen?«
    Einen Herzschlag lang hielt Richard inne, dann aß er langsam weiter.
    Cesare nickte. »Ihr habt recht.« Er biß in seine eigene Apfelhälfte und fuhr fort: »Und hört auf, mich Eminenz zu nennen. In diesen Tagen würde ich mein Gelübde gern loswerden. Wäre ich nicht Kardinal, dann könnte ich die Verteidigung der Romagna selbst übernehmen. Die dortigen Barone sind ja weiß Gott nur dazu fähig, sich gegenseitig zu bekriegen –
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