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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler
Autoren: Tanja Kinkel
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hätten sie ihren Worten Taten folgen lassen, aber die beiden gezogenen Messer, die Richard und Saviya plötzlich in der Hand hielten, wirkten zunächst abschreckend. Sie waren es offenbar nicht gewöhnt, daß ihre Opfer sich wehrten. Doch Richard wußte, daß der Schreck nicht von Dauer sein würde, und die Jungen, selbst wenn es Kinder waren, waren eindeutig in der Überzahl. Mit einem raschen Blick stellte er fest, daß die älteren ebenfalls bewaffnet waren. Er senkte seine Waffe etwas, während die Jungen sie umringten.
    »Ich möchte keinen Ärger«, sagte er zu dem Anführer. »Warum willst du ihren Ohrring haben?«
    Aufrichtige Verblüffung kennzeichnete die Miene des Jungen. »Weil Fra Savonarola es so gebietet. Wir sind seine Weißhemdengel«, erklärte er stolz, »und wir sorgen dafür, daß niemand in Florenz mehr eitlen Putz trägt.«
    »Ich verstehe«, nickte Richard. »Es tut mir leid, aber meine Frau und ich waren schon länger nicht mehr in Florenz. Und was tut ihr dann mit dem eitlen Putz? Ist es eine Spende für die Gottesmutter?«
    »Für den Scheiterhaufen zu ihren Ehren«, bestätigte der Junge. Mit dem beeindrucktesten Gesicht, das er aufbringen konnte, sagte Richard ehrfürchtig zu Saviya: »Nun, wenn es für einen so guten Zweck ist, Frau, dann laß den Tand und gib ihn den Jungen hier.«
    Wortlos löste Saviya den schmalen, goldenen Ring aus ihrem Ohr, bekreuzigte sich und händigte ihn dem Anführer aus, der nun vollständig versöhnt schien. Die ›Weißhemdengel‹ rannten bald weiter, und der Junge, mit dem Richard gesprochen hatte, rief ihm noch über die Schultern zu: »Beeilt Euch lieber, wenn Ihr noch einen Platz auf der Piazza wollt!«
    »Ein Glück«, sage Saviya, die ihnen nachschaute, »daß ich meinen anderen Ohrring schon in Rom weggeben mußte. Der Gefängniswärter dort läßt sich Essen, das nicht völlig madenverseucht ist, gut bezahlen.«
    Der Bruder Pförtner verhielt sich nicht so, als sei er von der allgemeinen Feiertagslaune angesteckt worden. »Die Bibliothek ist heute nicht zugänglich«, sagte er abweisend und schlug das kleine Fenster an der Pforte wieder zu.
    »Ich will nicht in die Bibliothek, ich möchte nur wissen, ob Ihr Nachrichten über Fra Mario …«
    »Santa Maria, seid Ihr das, Messer Riccardo?«
    Man hörte den Schlüssel klirren, dann öffnete sich die Pforte ächzend. Der Pförtner warf einen Blick auf Richard und Saviya, dann griff er nach Richards Hand und zerrte ihn hinein. Das war für Augustiner, die es gewöhnlich vermieden, einander zu berühren, so ungewöhnlich, daß Richard ein paar Sekunden lang zu verblüfft war, um etwas zu sagen. Hinter Saviya schloß der Pförtner wieder hastig das Tor und erklärte verlegen:
    »Es ist nur … Wir leben in schlimmen Zeiten, Messer Riccardo.«
    »Fra Daniele«, fragte Richard, dem der Name des Mönchs wieder eingefallen war, »habt Ihr etwas von Fra Mario gehört?«
    Der Pförtner zog seine Kapuze über, wie um in ihrem Schatten Schutz zu suchen. »Ja«, erwiderte er leise. »Er ist hier.«
    »Hier?« Richard fühlte sich benommen vor Erleichterung. Das war besser als alles, was er erwartet hatte; er konnte förmlich spüren, wie die drückende Last der Befürchtungen nachließ. »Dann bringt mich zu ihm. Ich wette, er sitzt im Skriptorium und schreibt in aller Ruhe, während ich mir schon vorgestellt habe, ich müßte ihn aus dem Gefängnis herausholen. Das ist wirklich …«
    Er hielt inne. Fra Danieles Entsetzen war selbst durch die Kutte erkennbar, und es rührte nicht daher, daß er Richards Ton mißbilligte.
    »Messer Riccardo«, sagte der Mönch so sanft wie möglich, »er liegt im Hospital, und nur Gott allein weiß, wie lange er noch zu leben hat.«
    Es schien Fra Daniele, daß der junge Mann nicht verstanden hatte. Warum hatte der Herr ihn, einen braven Mönch, dazu auserwählt, die ganze grauenvolle Geschichte, die er am liebsten vergessen hätte, zu erzählen?
    »Es waren Fra Savonarolas Weißhemden. Fra Mario hat versucht, einige Manuskripte und Gemälde vor dem Scheiterhaufen zu retten; er wollte sie den Besitzern abkaufen oder sie überreden, sie ihm zu überlassen. Er hatte wenig Erfolg damit, und irgend jemand muß ihn auch angezeigt haben. Jedenfalls, als er gerade aus einem Haus kam, wartete eine Horde dieser Jungen auf ihn und beschuldigte ihn, Gott seiner Ehre berauben zu wollen. Sie fanden eine Schrift des Lucretius bei ihm, aber er wehrte sich, als sie ihm das Buch abnehmen
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