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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler
Autoren: Tanja Kinkel
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»Erstens habe ich noch keine Prophezeiung gehört, die nicht eine logische Vermutung gewesen wäre, auf die man durch Nachdenken nicht auch selbst kommen könnte. Wie zum Beispiel Savonarolas Prophezeiungen. Bei dem vorherigen Papst, Lorenzo und Ferrante von Neapel ist er kein großes Risiko eingegangen, und bei dem jetzigen Krieg auch nicht. Und du hast selbst zugegeben, daß man nicht hellzusehen braucht, um zu prophezeien, daß Cesare Borgia nicht friedlich in seinem Bett sterben wird. Aber viel wichtiger ist dies: Wenn es Visionen gibt, dann steht die Zukunft fest, und nichts, was wir tun, kann sie ändern. Ich glaube aber, daß jeder Mensch sein Schicksal selbst in der Hand hat.«
    »Und trotzdem«, sagte Saviya, den Blick in die Flammen gewandt, »gehst du nach Florenz.«
    »Nicht trotzdem, sondern deswegen«, gab Richard zurück und glaubte es selber. »Mein Verstand sagt mir, daß Mario sich in Schwierigkeiten gebracht hat, und das ist kein Wunder, wenn Savonarola tatsächlich die Stadt beherrscht und Mario versucht haben sollte, einige von den beschlagnahmten Schätzen aus Florenz hinauszuschaffen. Aber das ist kein tödliches Vergehen, und Priester werden nicht hingerichtet. Wahrscheinlich steckt er im Gefängnis der Signoria.«
    Sie widersprach nicht, stimmte ihm aber auch nicht zu. Einen Moment lang befürchtete er, sie würde wiederholen, was sie im Gefängnis über Mario und ihn behauptet hatte. Er hatte sich bisher nicht gestattet, viel darüber nachzudenken. Mario war sein Freund. Vielleicht konnte man ihre Freundschaft auch Liebe nennen, aber es war die Liebe zwischen Brüdern, und ganz und gar nicht vergleichbar mit Fabio Orsinis Gelüsten. Er schauderte, als er daran dachte, wie Fabio ihn an den Schultern berührt und zugeflüstert hatte, es ist Zeit für Euch zu gehen, Riccardo.
    »Vielleicht«, murmelte Saviya, wandte sich vom Feuer ab und wieder ihm zu, »ist beides richtig. Es ist möglich, die Zukunft zu erkennen, aber nur durch unsere eigenen Taten, unsere eigenen Entscheidungen können wir dorthin gelangen.«
    »Was«, fragte Richard nun doch noch, »wolltest du mir noch über die Zukunft von …«
    Sie legte ihm die Hand auf den Mund, und Heiterkeit stand in ihren Augen, als sie eilig sagte: »Oh, ich werde dir auf keinen Fall etwas erzählen, was deine Handlungsfreiheit beschränken würde. Denn du wirst ihm wiederbegegnen. Und was dann geschieht, wird einzig und allein deine Sache sein.«
    Der Torwächter Umbaldo Garibaldi wünschte sich sehnlichst, seinen Dienst hinter sich zu haben. Seit der französische König weitergezogen war, schien es, daß die ganze Toskana nach Florenz strömte, um das kommende große Ereignis nicht zu versäumen. Er hatte es herzlich satt, jeden Bauernhaufen daraufhin zu untersuchen, ob sich ein Medici unter ihm versteckte. Die Vorstellung war ohnehin absurd. Dieser hochmütige Dreckskerl Piero als Bauer verkleidet? Garibaldi unterdrückte mit Mühe ein Kichern.
    Daher verwandte er nicht viel Mühe auf das Paar, das sich Pilgern aus Vinci angeschlossen hatte. Er erkundigte sich nur, wo sie unterkommen wollten. In Santo Spirito, nun, warum nicht, wenn er auch bezweifelte, daß sie dort noch Platz fanden. Wie schon hunderte Male an diesem Tag fügte er, um der unausweichlichen nächsten Frage zuvorzukommen, hinzu: »Und der Scheiterhaufen wird heute abend bei Sonnenuntergang entzündet, auf der Piazza della Signoria. Ihr könnt am Umzug vorher teilnehmen, aber ich würde Euch raten, geht lieber gleich zur Piazza, wenn Ihr etwas sehen wollt.«
    Der Mann zuckte zusammen, und einen Moment lang erwachte Mißtrauen in Garibaldi, aber dann meinte der andere mit breitem Lächeln: »Habt vielen Dank für Euren Ratschlag. Ein großer Tag für Florenz, fürwahr, und wir können dabei sein – der Scheiterhaufen der Eitelkeiten.«
    »Das Fegefeuer«, korrigierte Garibaldi, ohne nachzudenken. Das war der Ausdruck, den Fra Savonarola bei seinen Predigten immer benutzte. Er winkte die nächsten Neuankömmlinge heran, und das Paar zog weiter.
    Es dämmerte schon, und es fiel Richard und Saviya schwer, sich den Weg durch die Menge nach Santo Spirito zu bahnen. Einmal gerieten sie tatsächlich in Gefahr, als ihnen eine Horde hemdsärmeliger Jungen über den Weg lief; der älteste mochte etwa vierzehn, der jüngste nicht mehr als sechs Jahre alt sein. Einer von ihnen musterte Saviya und rief plötzlich: »Schande! Sie trägt einen Ohrring! Reißt ihr den Ohrring ab!«
    Zweifellos
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