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Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Titel: Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
Autoren: Nancy Bilyeau
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ersten beiden Stufen der Kathedrale von Canterbury.
    Dies ist die Stadt, wo alles angefangen hat , dachte ich. Und dies ist die Stadt, wo es enden wird .

ERSTER TEIL

Kapitel 1
    Canterbury, 25. September 1528
    Noch bevor der erste Windstoß heranfuhr, noch bevor ich seine heftige Bewegung spürte, merkten unsere Pferde, dass sich etwas zusammenbraute.
    Ich war siebzehn und auf dem Weg nach Canterbury, eine weite Reise von den Midlands aus, wo mein Zuhause, Stafford Castle, war. Mein Vater reiste jedes Jahr zu Herbstbeginn nach London, um sich dort um die Familiengeschäfte zu kümmern. Er hatte nicht gewollt, dass meine Mutter und ich ihn begleiteten. Nach einem sommerlichen Ausbruch des Schweißfiebers im Süden des Landes fürchtete er dort unser beider Leben durch die Nachwehen der Seuche gefährdet. Doch meine Mutter war nicht von ihrem Plan abzubringen. Sie sehe mein Leben weit ernstlicher gefährdet, erklärte sie ihm, wenn ich mich nicht endlich zu der bekannten heilkräftigen Quelle in Canterbury begäbe, um von der Melancholie befreit zu werden.
    In London ließen wir meinen Vater in unserem Haus am Strand zurück, während wir mit zwei Bediensteten zu Pferd nach Canterbury weiterreisten. Am Tag nach unserer Ankunft ritt meine Mutter voll freudiger Erregung mit mir zur Küste, um mir das Meer zu zeigen. Doch als wir dort ankamen und ich zum ersten Mal die brodelnden grauen Wellen erblickte, schlug die Stimmung meiner Mutter unerwartet um. Sie hatte das Meer nicht mehr gesehen, seit sie mit vierzehn Jahren als Hofdame Katharinas von Aragón aus Spanien nach England gekommen war, und nachdem sie einen Moment schweigend dagestanden hatte, begann sie zu weinen. Ratlos wartete ich, während sie herzzerreißendschluchzte. Erst als ich zaghaft ihre Schulter umfasste, beruhigte sie sich.
    An unserem dritten Tag in Canterbury wurde ich zu der Heilquelle geführt. Unter einem hohen Haus in einer vornehmen Straße befand sich eine uralte Grotte. Wir stiegen eine Treppe hinunter, und unten halfen mir zwei kräftige junge Frauen in ein steinernes Badebecken, in dem bis zum Rand beißend riechendes Wasser aus einer unterirdischen Quelle sprudelte. Ich blieb reglos darin sitzen. Ab und zu konnte ich unter dem wallenden Wasser verschwommene Farben erkennen: helles Rotbraun und tiefes Blaugrau. Mosaiken, wurde uns erklärt.
    »Das Bad wurde von einem Römer gebaut«, berichtete die Frau, die die Behandlung verabreichte. »In der Römerzeit gab es in der Stadt ein Forum, es gab Tempel und sogar mehrere Theater. Dann verfiel sie, bevor die Angelsachsen auf ihren Überresten eine neue Siedlung errichteten. Aber unter dem Erdboden ist sie immer noch da. Eine Stadt unter der Stadt.«
    Die Baderin drehte meinen Kopf bald hierhin, bald dorthin. »Wie ist Euch jetzt, Miss? Fühlt Ihr Euch kräftiger?« Sie war sehr darauf bedacht, uns gefällig zu sein. Außerhalb Londons und der adeligen Gesellschaft war nicht bekannt, wie tief unsere Familie durch den Sturz des Herzogs von Buckingham, des ältesten Bruders meines Vaters, gefallen war. Er war hingerichtet worden, nachdem man ihn fälschlich des Hochverrats bezichtigt hatte, und beinahe der gesamte Grundbesitz der Familie Stafford war von der Krone eingezogen worden. Hier, in einer Badestube in Canterbury, wurden wir immer noch für bedeutende Leute gehalten.
    »Mir ist besser«, murmelte ich. Die Frau lächelte stolz. Ich warf meiner Mutter einen Blick zu. Sie seufzte. Sie konnte ich nicht täuschen.
    Am nächsten Morgen wollten wir eigentlich die Rückreise nach London antreten. Doch in aller Frühe, als ich noch im Bett lag, kam meine Mutter und legte sich zu mir. Wie früher, als ich noch klein gewesen war, strich sie mir durch die Haare, die sodunkel waren wie ihre. Die ihren lichteten sich später – sie fielen ihr in Büscheln aus, um die Wahrheit zu sagen –, doch sie wurden niemals weiß. »Juana«, sagte sie, »ich möchte mit dir noch eine junge Ordensschwester aufsuchen.«
    An dem Plan war nichts Absonderliches. In Spanien verbrachte die Familie meiner Mutter so viel Zeit wie möglich mit Angehörigen christlicher Ordensgemeinschaften. Man besuchte die Klöster in den Hügeln Kastiliens, um in den Kirchen dort zu beten, den heiligen Reliquien seine Ehre zu erweisen oder in asketisch eingerichteten Zellen eine Nacht lang zu meditieren. Wie arm England im Vergleich dazu sei, war eine gewohnte Klage meiner Mutter. Die Ordenshäuser rund um Stafford Castle konnten sie
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