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Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Titel: Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
Autoren: Nancy Bilyeau
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Straße bewegte.
    Das Tor quietschte, als unser Anführer es aufstieß.
    Einer der Mönche rief: »Sie kommen heraus!« Tief drinnen in der Kathedrale flackerten Lichter.
    Gleichzeitig klirrte lauter Hufschlag auf dem holprigen Pflaster der schmalen Straße, und ein einzelner Reiter erschien. Ich erkannte die Farben der Tudors, Grün und Weiß. Es war ein Soldat des Königs, der offenbar vor der Kathedrale Wache gehalten hatte, während die anderen den Schrein aus der Krypta raubten. Er zügelte sein Pferd und starrte unser zusammengewürfeltes Fähnlein verblüfft an.
    Einer der Mönche neben mir raunte seinem Nachbarn zischend etwas zu, der nahm es auf und gab es weiter.
    Der Soldat fuhr erschrocken zurück. Er war jung, das konnte ich jetzt erkennen, höchstens achtzehn. In unseren zerlumpten Umhängen erschienen wir ihm wahrscheinlich wie eine Schar zischelnder böser Geister.
    Er schüttelte die Zügel und stieß seinem Pferd die Hacken in die Seiten, zweifellos um zum Portal der Kathedrale zurückzureiten und die Soldaten zu warnen. Bruder Oswald rannte ihm nach, und die anderen folgten.
    Bruder Edmund zögerte und sah mich unschlüssig an.
    »Geht mit ihnen«, drängte ich mit erstickter Stimme. »Geht! Säumt nicht!«
    Mit aller Kraft stieß ich ihn vorwärts, und zu meiner Erleichterung schloss er sich den anderen an. Ich jedoch stand wie angewurzelt. Meine Beine gehorchten mir nicht. Der Mond am Himmel drehte sich langsam.
    In der Ferne flog krachend eine Tür auf, raues Männergeschrei hallte durch die Nacht. Ich hörte alles, denn das Lärmen wurde von der Fassade der Kathedrale zurückgeworfen. Aber sehen konnte ich nichts. In meinen Ohren war ein Brausen wie das einer brodelnden See. Der Schneefall wurde stärker, von Windböen gepeitscht, und ich öffnete den Mund, um die kühlen Flocken zu schmecken – ich durfte auf keinen Fall ohnmächtig werden.
    Taumelnd suchte ich an der Mauer der Kathedrale Halt. Wie konnte ich mich von solcher Schwäche niederwerfen lassen? Wir hatten doch vorausgesehen, was geschehen würde – und meine Rolle in diesem Unternehmen war von entscheidender Bedeutung.
    Was Ihr tut, ist Wahnsinn – und es wird nichts bewirken .
    Geoffrey Scovills beschwörende Worte ließen mich nicht los. Es war, als saugten sie mir alle Kraft aus den Knochen. Erbittert zog ich mich an den Mauersteinen entlang nach vorn. Ich musste mit Bruder Edmund und den anderen kämpfen. Ich hatte mich entschlossen, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen zu handeln und nicht mehr vor der Zukunft zu fliehen.
    Ich schleppte mich bis zum Ende der Mauer.
    Zu beiden Seiten des Kirchenportals brannten Fackeln. Im Schatten kauerte der rundliche Prior, die Hände vor das schweißglänzende Gesicht geschlagen. Er hatte von unserem nächtlichen Plan so wenig gewusst wie vom Auftrag des Königs, Beckets heiliges Grab zu schänden. Es war den Soldaten ein Leichtes gewesen, die Kathedrale zu plündern. Diese Lähmung der Gläubigen, die der Vernichtung ihres Glaubens keinerlei Widerstand entgegensetzten, weil sie nicht fassen konnten, was geschah, hatte König Heinrich immer wieder ausgenutzt. Bis zur heutigen Nacht. Im Vertrauen darauf, dass Gott es so wollte, hatte jeder Einzelne von uns geschworen, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Es kam nicht darauf an, zu überleben, sondern einzig zu siegen.
    Vor dem Prior sah ich vier königliche Soldaten. Einer von ihnen trug einen langen Kasten – den Schrein. Die anderen stürmten die Stufen hinunter, den Mönchen entgegen, die auf dem Vorplatz einen Halbkreis gebildet hatten.
    »Im Namen des Heiligen Vaters befehle ich Euch, von Eurem schändlichen Werk abzulassen«, donnerte Bruder Oswald. Die Kapuze rutschte ihm vom Kopf. Im Fackelschein leuchtete die blasse Haut des Albinos wie eine Kerze aus reinstem weiß gebleichtem Wachs.
    Ich war den Anblick gewöhnt, doch den Soldaten jagte er Angst und Schrecken ein. »Beim Blute Christi, was ist das für einer?«, schrie einer von ihnen.
    Meine Aufmerksamkeit galt allein dem Schrein. Ich spürte keine Schwäche mehr, nur noch feuriger Zorn erfüllte mich. Alles, was ich in London gehört hatte, war wahr – am Vorabend des Tages, da der Tod Thomas Beckets sich zum dreihundertachtundsechzigsten Mal jährte, wollten die Männer des Königs heimlich seine sterblichen Überreste rauben.
    Ich konnte nicht zulassen, dass sie die Gebeine des Heiligen entweihten. Mit dem schweren Steinbrocken in der Rechten erklomm ich die
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