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Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Titel: Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
Autoren: Nancy Bilyeau
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nicht beeindrucken. »Nicht ein einziger Mystiker weit und breit«, mäkelte sie gern.
    Während wir uns fertig machten, erzählte mir meine Mutter die ungewöhnliche Geschichte der Benediktinerin Schwester Elizabeth Barton. Noch vor zwei Jahren war sie Bedienerin beim Verwalter des Erzbischofs von Canterbury gewesen. Dann wurde sie krank und lag wochenlang ohne Besinnung. Als sie gesundet erwachte, galt ihre erste Frage einem Kind, das in der Nähe lebte und ebenfalls erkrankt war – jedoch erst, nachdem sie das Bewusstsein verloren hatte. Wie hatte sie vom Schicksal des Kindes wissen können? Von diesem Tag an war es ihr gegeben, Dinge wahrzunehmen, die sich in anderen Räumen und anderen Häusern, selbst Meilen entfernt, ereigneten. Die Leute, die Erzbischof Warham zu ihr schickte, um den Fall untersuchen zu lassen, bestätigten, dass ihre Gabe echt sei. Darauf wurde entschieden, dass die junge Dienstmagd ins Kloster eintreten und so vor den Einflüssen der Welt geschützt werden solle. Elizabeth, von vielen die heilige Maid von Kent genannt, lebte nunmehr zurückgezogen im Benediktinerinnenkloster St. Sepulchre in Canterbury, wo sie jedoch hin und wieder verzweifelte Ratsuchende empfing.
    »Ihre Gebete könnten hilfreich sein.« Meine Mutter schob mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte ich einer Begegnung mit einer solchen Frau voll Spannungentgegengefiebert. Jetzt empfand ich nichts dergleichen. Schweigend ließ ich mir von unserer Zofe beim Ankleiden helfen.
    Als ich vor mehr als einem Jahr vom Hofe heimgekehrt war, sprach ich nicht mehr. Die meiste Zeit weinte ich oder lag zusammengekrümmt wie ein kleines Kind in meinem Bett. Meine Mutter musste mich zwingen zu essen. Alle schrieben mein Verhalten dem Schock über die Forderung des Königs nach einer Aufhebung seiner Ehe mit Katharina von Aragón zu. Gleich an meinem ersten Tag als Hofdame der Königin, der auch meine Mutter schon gedient hatte, wurde ich Zeugin der lauten verzweifelten Klagen Katharinas. König Heinrich stürmte hochrot vor Wut aus ihrem Gemach, nachdem er ihr eröffnet hatte, er wolle seine Ehe mit ihr annullieren lassen. Natürlich war das ein erschreckendes Erlebnis gewesen. Meine Mutter allerdings argwöhnte von Anfang an, dass etwas anderes mir auf dem Gemüt lastete, und bedrängte mich immer wieder mit Fragen. Doch ich dachte nicht daran, ihr oder meinem Vater die Wahrheit zu offenbaren. Nicht nur meine abgrundtiefe Scham hinderte mich daran, sondern auch die Sorge um meine Eltern. Wenn mein Vater erfahren hätte, dass George Boleyn, der Bruder der königlichen Mätresse, der sich etwas darauf zugutehielt, ein Favorit des Königs zu sein, versucht hatte, mir Gewalt anzutun, hätte keine Macht der Welt ihn davon abhalten können, diesen Menschen zu töten. Und meine Mutter, in deren Adern das Blut alten spanischen Adels floss, wäre in ihrer Rache noch weiter gegangen. Ich schwieg, um meine Eltern zu schützen. Ich gab mir selbst die Schuld an dem, was mir zugestoßen war, und wollte um keinen Preis wegen dieser Torheit das Leben meiner Eltern – und das der ganzen Familie Stafford – zerstören.
    Gegen Ende des Sommers 1527 ergriff eine Art Betäubung von mir Besitz. Mir war diese Rast nach dem Toben der Gefühle willkommen, aber meiner Mutter bereitete meine Interesselosigkeit an allem, was mir früher so viel bedeutet hatte, Bücher und Musik vor allem, tiefe Sorge. In den folgenden Monaten – dem längsten Winter meines Lebens – trieb ich in einer grauen Leere dahin.Der Arzt, der nach Stafford Castle geholt wurde, sprach von Melancholie. Der Bader widersprach und erklärte, meine Körpersäfte seien nicht ausgewogen, die schwarze Galle überwiege allzu sehr. Die vorgeschlagenen Behandlungen standen in Widerspruch miteinander. Meine Mutter stritt mit den beiden Heilkundigen und beschloss schließlich, sich bei meiner Pflege lieber auf ihren eigenen Instinkt zu verlassen. In der Tat erlangte ich meine körperliche Gesundheit wieder, doch mein Gemüt blieb gedrückt. Meinen Verwandten gefiel die stillere, gefügige Joanna – ich war immer ein eigenwilliges Mädchen gewesen –, meine Mutter jedoch sorgte sich.
    Als wir an jenem Morgen in Canterbury zum Aufbruch bereit waren, erklärte meine Mutter, wir kämen ohne Bedienstete zurecht. Das Kloster St. Sepulchre befinde sich nicht weit außerhalb der Stadtmauern.
    Unsere Zofe freute sich über die Aussicht auf einige Stunden ohne uns. Anders
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