Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Prinzen Von Irland

Die Prinzen Von Irland

Titel: Die Prinzen Von Irland
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
Ketzer
geschimpft. Doch seit Silken Thomas’ misslungener Revolte und der Rückkehr
ihres Mannes zur Familie in den Turm hatte sich in Cecily Tidy etwas verändert.
Vielleicht lag es daran, dass sie älter geworden war; vielleicht wollte sie
ihren hart arbeitenden Mann nicht verärgern. Was auch immer die Gründe waren,
da sich ihre religiösen Überzeugungen nicht im Geringsten gewandelt hatten, war
etwas in Cecily Tidy gestorben. Selbst jetzt, wo sie miterlebenmusste, dass alles, was heilig war, vernichtet wurde, machte sie
keine Szene.
    Dann
sah sie plötzlich den Ratsherrn Doyle. Er stand mit seinem Schwiegersohn
Richard Walsh mitten in der Menschenmenge und beobachtete mit höchstem Abscheu
die Vorgänge. Sie ging zu ihm.
    »Oh,
Ratsherr Doyle«, sagte sie. »Das ist ein entsetzliches Sakrileg. Kann man
nichts dagegen tun?«
    Zu
ihrer Überraschung meinte sie so etwas wie Scham in seinen Augen zu entdecken.
    »Kommt«,
sagte er ruhig und führte sie am Arm zu den beiden Beamten; Richard folgte
ihnen mit einigen Schritten Abstand. Die gallowglasses guckten, als wollten sie einschreiten,
doch einer der Beamten, der Doyle erkannt hatte, sagte: »Guten Morgen,
Ratsherr«, und die Soldaten hielten sich zurück.
    »Was
habt Ihr hier?«, fragte Doyle.
    »Reliquien«,
sagte der Beamte kühl. Sein Kollege brach gerade einen kleinen, mit Edelsteinen
besetzten Goldschrein auf. »Manche lassen sich nur schwer öffnen«, bemerkte er,
während der andere, nachdem er erfolgreich den Deckel aufgestemmt hatte, eine
heilige Haarlocke ins Feuer warf, die sofort in Flammen aufging.
    »Und
das Kästchen?«, wollte Doyle wissen und zeigte auf den goldenen
Reliquienschrein, der gerade so rüde geöffnet worden war. »Das ist Gold für den
König.« Kaum hatte der Mann das gesagt, beobachtete Cecily, wie er mit dem
Meißel einen der Edelsteine aus dem Deckel brach und ihn gelassen in eine
Ledertasche fallen ließ, die ihm am Gürtel hing.
    »Die
Kirche muss geläutert werden«, sagte der Beamte zum Ratsherrn.
    Cecily
staunte über seine kaltblütige Unverschämtheit.
    »Sie
entweihen die Schreine, Cecily«, sagte Doyle leise. »Aber Ihr seht, was sie
wirklich wollen, ist das Gold.«
    Und
die bleiche Cecily gewann zum ersten Mal genaueren Einblick in den wahren
Charakter von König Heinrich VIII. und seiner Anhänger – sie waren weniger
Ketzer als vielmehr ganz gemeine Diebe.
    »Der
König ist gekommen, um Irland auszuräubern«, schrie sie den Beamten an. Doch der
lachte nur.
    Im
selben Augenblick öffnete sein Kumpan eine andere Silberkassette. Diese hatte
sich leicht öffnen lassen, denn darin befand sich eine kleinere, geschwärzte
Schatulle.
    »Was
ist das?«, fragte Doyle.
    »Der
Finger von Sankt Kevin von Glendalough«, antwortete der Beamte.
    »Gebt
sie mir«, sagte Doyle und zeigte dabei auf die schwarze Schatulle.
    »Es
ist ein Edelstein darauf«, warf der andere Beamte ein und griff nach seinem
Meißel.
    »Genug!«,
sagte Doyle mit solch bestimmender Autorität, dass der Beamte sie ihm rasch
aushändigte.
    »Mehr
kann ich für Euch nicht tun, Ratsherr«, sagte er ein wenig gereizt.
    Doyle
hielt die kleine Reliquie in der Hand und betrachtete sie voll Ehrfurcht.
    »Der
heilige Kevin«, sagte er leise. »Es heißt, es habe eine große Kraft.«
    »Werdet
Ihr es sicher verwahren?«, fragte Cecily ängstlich.
    Doyle
hielt inne, ehe er antwortete. Mit seinem dunklen Gesicht schien er über etwas
in weiter Ferne nachzusinnen. Dann drehte er sich zu ihrem großen Erstaunen zu
ihr um, schaute auf sie hinunter und legte ihr die kleine Reliquie in die Hand.
    »Nein«,
sagte er. »Ihr werdet das tun. Ich kenne niemanden in Dublin, der besser darauf
aufpassen würde. Geht nun schnell und versteckt sie.«
    Cecily
hatte die Straße überquert und war kurz stehen geblieben,
um ein letztes Mal einen Blick auf das große Feuer zu werfen, als sie MacGowan
kommen sah.
    Doyle
und Richard Walsh begrüßten ihn. Sie sah MacGowan in die Flammen starren. Dann
gestikulierte er in Richtung der Kathedrale. Und nun sah sie, wie Doyle und Richard
sich zu ihm vorbeugten. MacGowan schien ihnen mit Dringlichkeit etwas zu sagen.
    Und
genau in diesem Augenblick nahm ein Soldat einen gelblichen alten Totenschädel
hoch, riss den Goldreif ab und schleuderte ihn in die Flammen.
    *
* *
    Zwei Stunden später
verbreitete sich die Nachricht in ganz Dublin. Anfangs waren die Menschen so
schockiert, dass sie sie kaum glauben konnten, doch gegen Abend bestanden
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher