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Die Principessa

Die Principessa

Titel: Die Principessa
Autoren: Peter Prange
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nach seiner Hand. »Sie haben ihn auch geliebt, nicht wahr?«
    »Geliebt? Ja, vielleicht. Aber noch mehr habe ich ihn gehasst. Weil er mich gezwungen hat, ihn zu bewundern, ein ganzes Leben lang. Von seinen Werken werden die Baumeister dieser Welt noch in vielen hundert Jahren lernen, wenn meine Einfälle nur noch als hübsche Augenschmeicheleien belächelt werden.« Lorenzo senkte den Blick.
    Clarissa drückte seine Hand. »Quälen Sie sich nicht!«, flüsterte sie. »Ich trage allein die Schuld an seinem Tod.«
    Er schüttelte den Kopf und entzog ihr seine Hand. »
Ich
habe die Piazza gebaut, Principessa, nicht Sie!« Er schaute sie an, seine Augen schimmerten feucht. »Ich habe den Tod stets wie meinen persönlichen Feind empfunden und mit all meiner Kraft am Leben gehangen, mehr noch als an der Kunst. Weil ich glaubte, Schönheit selbst bedeutet Leben. In Wirklichkeit, fürchte ich, wollte ich nur den Menschen gefallen. Wie konnte ich mich so sehr irren?«
    »Sie haben sich nicht geirrt, die Piazza ist der Beweis. Sie ist ein Triumph der Schönheit.«
    »Der Schönheit, ja – aber auch des Lebens?« Ohnmächtig hob er die Arme. »Ich würde es gerne glauben, Clarissa. Aber Francesco musste sterben, damit seine Piazza entstehen konnte. Nein, am Ende ist der Tod unser aller Meister, nicht das Leben. Das ist die bittere Wahrheit, und wer nicht an ihn glaubt, den bestraft er sogar noch in der Stunde des Triumphs.«
    Lorenzo kniete nieder und schlug das Kreuzzeichen mit weiten, ausholenden Bewegungen wie ein Bischof, aus denen seine ganze Ergriffenheit sprach, und während er am Grab seines lebenslangen Rivalen ein stummes Gebet verrichtete, rannen Tränen an seinen Wangen hinab.
    Obwohl die Trauer sie wie ein schwarzer Schleier umfing, musste Clarissa lächeln. Sogar seine Hilflosigkeit kleidete er in große, dramatische Gesten.
    »Sie haben den Mut gehabt, den ich nicht besaß«, sagte er, nachdem er sich wieder erhoben hatte. »Das Schicksal hatte einen fürchterlichen Auftrag für Sie, Principessa. Die meisten Menschen wären davor zurückgeschreckt, doch Sie haben ihn angenommen. Ohne Sie hätte es die Piazza nie gegeben, ohne Sie hätte Rom ein anderes Gesicht. Die Stadt und die Kunst sind Ihnen zu ewigem Dank verpflichtet. Aber das wissen nur wir zwei. Es ist unser Geheimnis.«
    »Es liegt an Ihnen, Cavaliere, ob die Welt davon erfährt. Wollen Sie ihr nicht sagen, wer die Piazza entworfen hat?«
    Lorenzo schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass ich das über mich bringe. Die Menschen haben mich in jungen Jahren zu sehr gefeiert, als dass ich im Alter auf ihr Lob verzichten könnte.«
    Wieder musste Clarissa lächeln. »Sie sind ein eitler Mann, Lorenzo, vielleicht der eitelste, den ich kenne, aber Sie haben mich nie belogen. Dafür danke ich Ihnen.«
    Sie küsste ihn auf die Wange. Verlegen erwiderte er ihr Lächeln, und ein zartes Rot färbte sein Gesicht – zum ersten Mal in all den vielen Jahren.
    Eine lange Weile standen sie so da und schauten sich an: zwei Menschen, die sich nichts mehr zu sagen hatten, weil ihre Herzen sich kannten.
    »Und was sind jetzt Ihre Pläne?«, fragte er schließlich.
    »Sobald ich meine Sachen geordnet habe, werde ich abreisen. Es ist merkwürdig«, fügte sie hinzu, »aber jetzt, da Francesco nicht mehr hier ist, habe ich das Gefühl, meine Zeit in Rom ist abgelaufen. Ich komme mir vor wie eine Fremde, als hätte ich ein zweites Mal meine Heimat verloren.«
    »Dann reisen Sie also zurück nach England?«
    Sie hob die Schultern. »Vielleicht, vielleicht auch nach Deutschland oder Frankreich. Ich weiß es noch nicht.« Sie reichte ihm ihre Hand. »Leben Sie wohl, Cavaliere! Gott möge Sie beschützen!«

31
    Die Reiselizenz und das Gesundheitszeugnis waren unterschrieben, die Koffer gepackt und auf die Kutsche geladen. Clarissa wollte zunächst nach Pisa, Florenz und Padua fahren, um jene Städte zu besuchen, in denen der große Galileo gewirkt hatte, von dort aus würde sie weiter sehen. Sie hatte zwei
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gemietet, erfahrene Reisebegleiter, deren Aufgabe es war, unterwegs die Quartiere zu besorgen und sie vor Überfällen zu schützen. Denn die Straßen waren unsicherer als zu jener Zeit, da sie zum ersten Mal nach Rom gekommen war; all die Fremden, die in immer größeren Scharen Italien bereisten, lockten viele Banditen an.
    Eingemummt in einen Pelz, stand Clarissa auf dem Aventin, dem südlichsten der sieben Hügel, auf denen die Stadt erbaut worden war. Es
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