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Die Principessa

Die Principessa

Titel: Die Principessa
Autoren: Peter Prange
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Lächeln geriet zu einer fürchterlichen Grimasse. »Der Neid war mein Bruder … mein Leben lang.«
    »Pssst …«, machte sie. »Sprechen Sie nicht! Der Arzt kommt gleich wieder, er schaut jede Stunde nach Ihnen.«
    »Es … wird nicht mehr … lange dauern«, flüsterte Francesco. »Die Schmerzen … sind zu stark … Es bleibt nur so wenig Zeit … Aber wir müssen reden … Es gibt noch eine Frage … Ich muss die Antwort wissen …«
    Er konnte nicht weitersprechen, die Atemnot hinderte ihn. Sein Gesicht begann zu zucken, verzerrte sich in einem Krampf, während der Husten immer heftiger wurde, sodass bald sein ganzer Körper von Krämpfen geschüttelt wurde. Mit ohnmächtigem Entsetzen sah Clarissa diesem Kampf zu, der in seinem Innern tobte. Jeden Atemzug musste er dem unsichtbaren Feind unter Qualen abringen, er keuchte und röchelte, zog mit rasselnder Lunge die Luft in sich hinein, gurgelnd und schlürfend, bevorsie in langen, pfeifenden Tönen wieder aus seiner Brust entwich. Es war, als wolle ein Dämon aus ihm ausfahren und konnte es nicht. Doch Francesco gab nicht auf. Er hatte sein Leben weggeben wollen wie einen schäbigen Anzug, der ihm all die Jahre über viel zu eng, viel zu klein gewesen war, doch nun klammerte er sich an ihn mit allen Kräften, die auf unheimliche Weise immer noch in seinem Körper hausten, als wäre er sein einziger Besitz.
    Was war es, was ihn mit solcher Macht am Leben hielt? Auf welche Frage wollte er eine Antwort von ihr?
    Endlich hörte der Anfall auf. Erschöpft sank er in das Kissen, mit schwerem, keuchendem Atem, den Kopf halb verdreht auf der Brust. Jede Bewegung war ihm zu viel, Clarissa sah es seinem Gesicht an, er musste fürchterliche Schmerzen haben. Sie stand auf, beugte sich über ihn und bettete seinen Kopf in die Mitte des Kissens, damit er bequemer lag. Willenlos ließ er es mit sich geschehen.
    Wusste er noch, dass sie bei ihm war?
    Sie zündete ein Licht an und setzte sich wieder an sein Bett, wartete, dass sich sein Atem beruhigte, er wieder ein wenig Kraft schöpfte. Mit blutleerem Gesicht lag er da, unwirklich wie ein Gespenst in dem flackernden Kerzenlicht, die Augen fest verschlossen. Wie sehr hoffte sie, dass er sie noch einmal aufschlug.
    Plötzlich bewegten sich seine Lippen. »Warum …?«, flüsterte er. »Warum … haben Sie es getan?«
    Das also war die Frage, die ihn noch am Leben hielt. Clarissa holte tief Luft. Sie wusste, sie war ihm die Antwort schuldig – doch was sollte sie ihm sagen? Dass sie seine Idee vor dem Vergessen hatte retten wollen? Um seine Gedanken, seine Kunst unsterblich zu machen? Weil sein Werk wertvoller war als sein Leben? Damit er im Paradies nicht weinte? Tausend Worte stürmten auf sie ein, Sätze aus den Gesprächen, die sie miteinander geführt hatten, vor Jahren, in einem anderen, fernen Leben, doch alle Gründe, die sie nennen konnte, erschienen ihr jetzt so erbärmlich, so nichtig angesichts seines nahen Todes.
    »Weil ich dich liebe«, sagte sie plötzlich, ohne zu überlegen, und doch zugleich wissend, dass es die einzige richtige Antwort war. »Darum habe ich es getan.«
    »Was … sagen Sie da?« Er schlug die Augen auf und schaute sie an, das Gesicht voll ungläubigem Staunen.
    »Ja, Francesco«, sagte sie und griff nach seiner Hand. »Ich liebe dich, schon seit vielen Jahren.«
    Seine dunklen Augen ruhten auf ihr, und ein Leuchten erfüllte sie wie an jenem Tag, da er ihr die Kuppel des Petersdoms gezeigt hatte. In einem langen, wortlosen Schweigen tauschten sie einen langen, innigen Blick, in dem ihre Seelen sich vereinten. »Mein geliebter Francesco«, flüsterte sie.
    Auf einmal hatte sie nur noch das Bedürfnis, ihm nahe zu sein, näher, als sie ihm je gewesen war. Sie beugte sich vor, und so behutsam, als fürchte sie, ihn zu verletzen, küsste sie ihn auf den Mund.
    Es war ein Augenblick jenseits der Zeit, den sie im Kuss verbrachten, beide Lippenpaare miteinander verschmolzen. Alle Einsamkeit war aufgehoben, keine Schranke mehr da, die sie trennte. Er war in ihr und sie war in ihm, in einem einzigen großen Amen.
    »Du hast … ›du‹ zu mir gesagt«, flüsterte er in beglückter Verwunderung, wie ein Kind, als ihre Lippen sich endlich lösten.
    »Es war mein Herz, das sprach.«
    Sie streichelte seine Stirn, seine Wangen. Wie gern hätte sie ihn für alle Zeit geküsst, ihn geherzt, ihn liebkost, wieder und wieder, um all die Zärtlichkeiten nachzuholen, die auszutauschen sie in den vielen
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