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Die Principessa

Die Principessa

Titel: Die Principessa
Autoren: Peter Prange
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Betrüger, die Verräter – das ganze gottlose Volk. Doch dazu brauchte er Licht. Verflucht, wie sollte er ohne Licht schreiben?
    Endlich hatte er den Türgriff gefunden, er drückte die Klinke herunter, doch die Tür war verriegelt.
    »Bernardo! Komm her! Sofort!«
    Wie schwere Ketten rasselte seine Lunge. Erschöpft lehnte er sich gegen die Tür. Die Wände seiner Schlafkammer umschlossen ihn wie die Mauern eines Gefängnisses, fast schien es, alskämen sie auf ihn zu, immer näher, immer enger umfingen sie ihn, mächtige Arme der Finsternis. Panik stieg in ihm auf. Man hatte ihn eingesperrt! Wie ein Tier! Francesco rüttelte an der Klinke, schlug mit den Fäusten gegen die Tür, doch sie blieb verschlossen. Das war Berninis Werk – er hatte Bernardo bestochen!
    Wie ein Relief hoben sich im Dämmerlicht die Rücken seiner Bücher von den gekalkten Wänden ab: Seneca, die Bibel – die einzigen Freunde, die er je hatte. Verzweifelt streckte er die Arme nach ihnen aus. Stumm kehrten sie ihm ihre Rücken zu, während das Zetern der Vögel draußen so laut wurde, dass es wie ein Hohngelächter klang. Worüber lachten sie? Voller Zorn fegte er die Bücher vom Regal. Mit lautem Poltern fielen sie zu Boden, wo er mit seinen bloßen Füßen nach ihnen trat, denn auch sie ließen ihn im Stich, wandten sich von ihm ab, um einzufallen in das große Gelächter.
    Ein Hustenanfall zwang ihn innezuhalten. Die Brust schnürte sich ihm zu, plötzlich war sie so eng, als stecke sie in einer Zwinge. Luft! Er brauchte Luft! Er riss sich das Nachthemd auf, stolperte zum Fenster, doch da war wieder der Kasten, er strauchelte, griff im Sturz nach dem Vorhang und riss ihn mit sich zu Boden.
    »Bernardo …«, röchelte er. »Hilf mir … bitte … Bernardo … wo bist du …«
    Wie schallendes Gelächter dröhnten die Vogelstimmen in seinen Ohren, so laut, als würde die ganze Stadt über ihn lachen. Immer hatten sie ihn verhöhnt und verspottet, sein Leben lang, sich gegen ihn verschworen, sogar die Kinder auf den Plätzen drehten sich nach ihm um, zeigten mit den Fingern auf ihn und bogen sich vor Lachen. Francesco hielt sich die Ohren zu, er konnte es nicht länger ertragen, presste beide Hände gegen den Kopf und schloss die Lider.
    Da sah er die Principessa vor sich, ihr helles Gesicht in dunkler Nacht, und Tränen stiegen ihm in die Augen. Den ganzen Tag, den ganzen Abend hatte er sich nach ihr gesehnt, jede Sekundeund Minute seines Wachseins, mit einer Inbrunst, wie er sich noch nie nach einem Menschen gesehnt hatte – doch ein Dutzend Mal hatte er sie abgewiesen, ein Dutzend Mal, nachdem Bernardo sie ihm gemeldet hatte, hatte er seinem Neffen befohlen, sie fortzuschicken, ihr zu sagen, er wolle sie nicht sehen – und wenn ihm darüber auch das Herz brach.
    Denn die Principessa hatte ihn verraten.
    »Warum hast du das getan?«, flüsterte er.
    In heißen Strömen rannen die Tränen an seinen Wangen hinab. Die Principessa war der einzige Mensch, dem er seine Pläne für die Piazza gezeigt hatte – sie hatte sein Vertrauen missbraucht, hatte seine Idee, seinen großartigen Einfall an Bernini verraten. Plötzlich hatte er nur noch ein Bedürfnis: Er wollte mit seinem Körper den Schmerz spüren, der in seiner Seele brannte. Sein Leib sollte büßen für das, was man ihm angetan hatte. Er musste sich etwas antun – aber womit? Es gab kein Messer im Raum, um sich die Adern zu öffnen, keine Pistole, um sich eine Kugel zu geben. Verzweifelt fasste er sich zwischen die Schenkel, packte das Gemächte, diese heimtückische, verfluchte Schlange, die dort in seinem Fleisch nistete, um auf der Suche nach geiler Wollust und Verderben immer wieder ihr Haupt zu erheben. Ausreißen würde er sie, für immer vernichten, auf dass sie ihn nie wieder in Versuchung führe!
    Er heulte auf vor Schmerz, dann verlor er das Bewusstsein.
    Als er wieder zu sich kam, brüllten die Vögel so laut, dass ihm der Kopf davon platzte. Voller Ekel wurde er sich seiner selbst gewahr: ein sich krümmender, zuckender, winselnder Haufen Fleisch und Schleim und Schmerzen, gefangen in seinem eigenen Verlies. Verflucht war der Tag, da seine Mutter ihn geboren hatte!
    Plötzlich sah er etwas über sich blinken. Er hob den Kopf, kniff die Augen zusammen. Ja, dort oben, am Kopfende seines Bettes neben dem Regal mit den geweihten Kerzen hing sein Schwert an der Wand: sein ganzer Stolz, sichtbares Zeichen seiner Würde und Bedeutung, die höchste Auszeichnung, die er je im
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