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Die Principessa

Die Principessa

Titel: Die Principessa
Autoren: Peter Prange
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gemeinsamen Jahren versäumt hatten. Doch sie beherrschte sich, spürte, dass ihr nur dieser eine Kuss vergönnt war, den sie eben mit ihm getauscht hatte, und statt seine Stirn, seine Augen, seine Lippen mit ihren Küssen zu bedecken, wie es sie mit solcher Macht, mit solchem Verlangen drängte, begnügte sie sich damit, noch einmal seine Hand zu nehmen.
    »Hast du … die Piazza gesehen?«, fragte er.
    Clarissa nickte stumm. Wieder blickten sie sich an, verbunden nur durch die Berührung ihrer Hände.
    »Und … wie hat sie dir … gefallen?«
    »Sie ist wunderschön, Francesco. Das Schönste, was ich je gesehen habe.«
    »Dann bist du also … stolz auf mich?«
    »Ja, Francesco, Liebster …«
    Ihre Stimme versagte, neue Tränen rannen an ihren Wangen hinab, doch sie spürte sie nicht.
    »Danke …«
    Als er dieses Wort sagte, schluchzte Clarissa laut auf. Sie wandte sich ab, barg ihr Gesicht in seiner Hand, damit er sie nicht sah. Erst nach einer langen Weile fand sie die Kraft, ihn wieder anzuschauen.
    »Du … du sollst doch nicht weinen«, sagte er. Sein Atem ging so schwer, dass er jedes Wort mühsam und schleppend hervorbrachte. »Denk nur … bald werde ich wissen … woher der Schnee kommt … Vielleicht … wer weiß … kommt er ja wirklich von den Sternen … Ich habe den Schnee immer gemocht … In meiner Heimat … in den Bergen … hat es oft geschneit …«
    Erschöpft hielt er inne. Zärtlich drückte sie seine Hand, und er antwortete ihr, indem er die Finger langsam schloss. Obwohl sie jetzt kein Wort sprachen, tauschten sie alle Regungen ihrer Herzen aus. Jeder Druck, jede noch so leise Bewegung sagte etwas anderes: heimliche Fragen und Antworten, Zeichen, die an die dunkelsten Kammern der Erinnerung rührten, Beschwörungen einer längst dahingeschwundenen Hoffnung, die sich dennoch in diesem Moment erfüllte – in der einzigen Stunde ihrer Liebe.
    »Es fiel auch damals Schnee …«, flüsterte er so leise wie ein Hauch, »in der Nacht … als ich dich zum ersten Mal sah … dein Bild …«
    Mit einem Seufzer schloss er die Augen und seine Lippen verstummten. Von welcher Nacht sprach er? Von welchem Bild? Verzweifelt blickte Clarissa ihn an. Um seinen Mund spielte ein Lächeln, als würde er etwas Wunderschönes vor sich sehen, und für die Dauer dieses Lächelns wirkte er fast wie ein junger Mann.
    Dann aber erstarb das Lächeln auf seinem Gesicht. Francesco rührte sich nicht mehr, das Kinn hing schlaff herunter und der Mund stand ihm halb offen, als sei jeder Wille aus ihm gewichen, während sein Atem sich in absurdem Gegensatz zu dem reglosen Leib in ein schnelles, eiliges Hecheln verwandelte. Ein eisiges Grausen kam Clarissa an. Obwohl sie immer noch bei ihm war, schien er ihr plötzlich so fern. Hin und wieder zuckten seine Finger in ihren Händen, doch mit Entsetzen spürte sie, dies waren keine Zeichen oder Botschaften mehr, die sein Herz ihr sandte, sondern letzte, unwillkürliche Regungen des Fleisches, Zeugen der qualvollen Schmerzen, die er, unendlich fern von ihr, im Innern seines Körpers durchlitt, in jener untröstlichen Einsamkeit, die jedem anderen Wesen, und mag es noch so sehr lieben, den Zutritt verwehrt wie einem Fremden.
    Draußen rollte eine Kutsche durch die Gasse. Vor dem Haus blieb sie stehen. Clarissa hörte Schritte, dann Stimmen auf der Stiege.
    »Soll ich den Verband noch einmal wechseln?«
    Sie drehte sich um. Der Arzt stand in der Tür, hinter ihm Bernardo.
    Clarissa schloss die Augen und schüttelte den Kopf.

30
    Buntes Laub bedeckte das schlichte Grab, nur ein schwarzes Holzkreuz ragte aus dem noch frischen Erdhügel. Monate waren seit Francescos Tod vergangen. In seinem Testament hatte er verfügt, auf dem Friedhof von San Giovanni dei Fiorentini zur letzten Ruhe gebettet zu werden: an der Seite seines Lehrmeisters Carlo Maderno. Er wollte für immer mit ihm verbunden sein, über den Tod hinaus.
    Clarissa hatte seinem Wunsch nach einer schlichten Beisetzungentsprochen – zeit seines Lebens war ihm jeder Pomp fremd gewesen. Während sie nun die Hände faltete, rief von der Gemeindekirche eine einsame Glocke zum abendlichen Angelus. Der Herbstgeruch von welkem Laub und aufgebrochener Erde wehte über den Gottesacker.
    »Sie haben ihn geliebt, nicht wahr?«
    Clarissa drehte sich um. Vor ihr stand Lorenzo Bernini, den Hut in der Hand.
    »Ich weiß nicht, vielleicht.« Sie zögerte. »Wahrscheinlich – ja, ich glaube ja«, sagte sie dann. »Obwohl ich es lange
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