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Der Koenig geht tot

Der Koenig geht tot

Titel: Der Koenig geht tot
Autoren: Kathrin Heinrichs
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    Da war er wieder, dieser stechende, grelle Schmerz in meiner rechten Schläfe. Langsam versuchte ich, die Augen zu öffnen. Vergeblich. Es war, als seien sie zugeklebt. Ich stöhnte schmerzerfüllt und gab mir Mühe, mich auf die Seite zu drehen. Die Stiche im Kopf wurden heftiger. Ich versuchte mich zu erinnern. Wer hatte mich so zugerichtet? Die Erinnerung kam mit einer weiteren Schmerzattacke, diesmal in der linken Schläfe. Es gab nur einen einzigen Grund für meinen bemitleidenswerten Zustand: Ich war gestern auf einem sauerländischen Schützenfest gewesen!
    Verflixt, wie hatte ich nur dorthin geraten können? Ich war schließlich Rheinländer. Selbst wenn mich eine Lehrerstelle an einer katholischen Privatschule hier ins Sauerland verschlagen hatte, hatte ich doch nichts auf einem Schützenfest zu suchen! Schließlich war in meine Erbanlagen ein rheinländisch-frohsinniges Karnevals-Gen gelegt worden und kein stur-sauerländisches Schützenfest -Gen!
    Langsam spielte sich ein Film in meinem Inneren ab. Tatsächlich konnte ich mich noch an verschiedenste Dinge erinnern. Zum Beispiel, wie wir an der Schützenhalle angekommen waren. Ich hatte Bauklötze gestaunt. Da waren wir nun durch dieses Dorf gefahren, das Stichlingsen hieß und das zu den Orten gehörte, bei denen man schon wieder raus war, bevor man überhaupt gemerkt hatte, daß man drin gewesen war. Doch ich muß gestehen, als Max an der nesteigenen Schützenhalle vorfuhr, war ich platt. Nach meinem ersten Eindruck verfügte Stichlingsen über ungefähr dreiundzwanzig Häuser – Garagen und Fahrradschuppen nicht mitgerechnet. Was wollten die Bewohner von dreiundzwanzig Häusern mit einer solchen Festhalle? Die brauchten doch mindestens eine halbe Stunde, bis sie sich in der Halle wiedergefunden hatten.
    Ich konnte dieses Problem nicht zu Ende denken. Ich hatte Mühe genug, meinem Freund Max zu folgen, der sich an Schießbude und Süßigkeitenstand vorbei einen Weg in Richtung Schützenhalle bahnte. Max drehte sich um und schaute, ob ich ihm brav gefolgt oder inzwischen, meinen rheinländischen Trieben gehorchend, ausgebüxt war. Wir traten in die Halle, die um diese Uhrzeit, gegen zehn Uhr abends, brechend voll war. Der Geräuschpegel war immens. Eine Musikkapelle, die vorne auf der Bühne Platz hatte, blies, was das Zeug hielt, und die Mengen an Leuten taten ihr übriges. Einige sangen aus vollem Hals mit, andere unterhielten sich lautstark. Allein hätte ich spätestens an diesem Punkt Reißaus genommen, in Begleitung von Max allerdings war das nicht möglich. Max schrie mir etwas zu, das ich nicht verstand. Er schrie noch einmal, jetzt lauter, so daß sich sein Gesicht leicht rot färbte und sich den Köpfen der Umstehenden farblich anpaßte. Ich verstand etwas von »Theke« und »trinken«. Tatsache war, daß wir uns jetzt zu zweit durch die Menschenmassen hindurchzwängten, am hinteren Teil der Halle entlang bis hin zu einer langen, hölzernen Theke. Max verschwand einen Augenblick, und ich ließ meinen Blick schweifen. An der Seitenwand war eine riesige Holztafel angebracht mit der Aufschrift »Glaube, Sitte, Heimat«, dem Wahlspruch jeder saarländischen Schützenbruderschaft, wie ich annahm. Max kam kurz darauf mit zwei Gläsern Bier zurück. Er prostete mir zu. Das Bier war wunderbar kühl angesichts der Schwüle, die überall und speziell hier in der Halle in der Luft lag. Darüber hinaus schmeckte es nur minimal nach Spülwasser.
    »Wo kommen all die Leute her?« brüllte ich in Max’ Richtung. »Es ist doch Urlaubszeit.«
    Max grinste auf seine unnachahmliche Art. »Urlaubszeit? Wer sagt das? Der Termin fürs Stichlingser Schützenfest steht seit einem Jahr fest. Meinst du, dann fährt jemand zu dieser Zeit in Urlaub? Das Stichlingser Schützenfest hat Kultcharakter. Hier kommen ‹zig Auswärtige hin, weil es so gemütlich ist.«
    Ich staunte. »Also richtet sich die Ferienplanung nach dem Schützenfestkalender?«
    Max nickte vergnügt. In dem Moment legte ihm jemand von der Seite den Arm um die Schulter. »Max, Junge, wann ham’ wir uns das letzte Mal gesehen?« Ein Mann um die vierzig mit einem stark aufgeschwemmten, dunkelroten Gesicht hing jetzt an Max’ Seite. Die schiefsitzende grüne Schützenkappe auf seinem Kopf verlieh ihm etwas von einem heruntergekommenen Polizisten.
    »Ich vermute, letztes Jahr auf dem Schützenfest«, meinte Max und vergaß nicht, uns bekannt zu machen. »Das ist der König«, erklärte er mir, »oder
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