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Die Principessa

Die Principessa

Titel: Die Principessa
Autoren: Peter Prange
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Zeit selbst nicht gewusst habe, vielleicht auch nicht wissen wollte.«
    »Ich hatte es immer gewusst, Principessa.« Er trat an ihre Seite und schaute sie an, mit einem Ernst im Gesicht, den sie nicht an ihm kannte. »Ich weiß nicht, ob ich das Recht habe, so etwas zu sagen – aber Sie haben ihn mehr geliebt als Sie je einen anderen Mann liebten. Sie wären sonst zu einer solchen Tat nicht fähig gewesen.« Er machte eine Pause, und auf ihren fragenden Blick fügte er hinzu: »Der Entwurf für die Piazza damals – er stammte doch von ihm?«
    »Ja«, erwiderte sie fest. »Die Zeichnung war seine größte Idee. Ich musste es tun.«
    »Obwohl Sie mir dadurch diesen Triumph ermöglichten?«
    »Ich hatte keine Wahl. Ohne Sie wäre sein idealer Platz nie verwirklicht worden.«
    »Mein Gott, ich wollte, eine Frau hätte mich je so geliebt!« Lorenzo nickte nachdenklich. »Nun, vielleicht muss man alt werden, um wirklich zu lieben. Erst im Alter paart sich die Liebe mit der Verzweiflung.«
    Seine Worte trafen sie mitten ins Herz. Ja, sie war verzweifelt gewesen – aber das war das Einzige, was sie sicher wusste. Sie bückte sich, um die Blumen auf dem Grab zu ordnen. Kein Denkstein stand auf dem Erdhügel, um an den Toten zu erinnern. Wie lange würde es dauern, bis die Welt Francesco vergaß? Mit einem Seufzer richtete sie sich auf. In der Ferne, umflossen vom goldenen Glanz der Abendsonne, schraubte sich der Turmvon Sant’ Ivo alla Sapienza in den dunkelblauen Himmel empor, erhaben und feierlich wie ein Gebet, das zu Gott aufsteigt. Der Anblick tröstete sie, als würde jemand den Arm um sie legen. Nein, solange es seine Bauwerke gab, konnte die Welt Francesco nicht vergessen; er würde auch ohne Denksteine und Ehrentafeln weiterleben, jetzt und für alle Zeit.
    »Sein Leben lang hat er gelitten«, sagte sie, »wie ein Cherub vor Gottes Thron.«
    »Ja, er strebte nach dem Höchsten, selbst das Vollkommene war ihm nicht genug.« Lorenzo trat näher an das Grab heran. »Er wollte Gott und die Natur übertreffen. Das war seine Größe – und zugleich sein Verhängnis. Alle alten und bewährten Lehren lehnte er ab, er wollte die Architektur aus eigener Kraft neu erfinden, wie ein guter Ketzer, der die Kühnheit besitzt, die Sätze des Glaubens neu zu definieren, nur seinem eigenen Urteil verpflichtet, ohne auf die Meinung der anderen zu achten. Ich habe nie so hoch gegriffen wie er, ich war bloß ein schlechter Katholik. Mein Mut reichte gerade für ein paar lässliche Sünden.«
    Clarissa schaute ihn an. Er war alt und grau geworden, so alt und grau wie sie selbst, doch seine Augen blickten noch so lebendig wie früher.
    »Ich hatte immer gehofft, dass Sie Freunde sein würden«, sagte sie. »Sie sollten zusammen das neue Rom erbauen. War das nicht Ihre Bestimmung? Der Grund, weshalb das Schicksal Sie zusammenführte?« Sie schüttelte den Kopf. »Warum war es nicht möglich?«
    »Das fragen Sie? Ausgerechnet Sie?« Seine Augen funkelten jetzt vor Erregung.
    »Ich möchte eine wirkliche Antwort«, sagte sie leise.
    Die Erregung verschwand aus seinen Augen, nachdenklich erwiderte er ihren Blick. »Ich glaube«, sagte er schließlich, »ich habe einfach nicht ertragen, dass er mein Bruder war – vom selben Stamm wie ich und doch dem Himmel so nahe. Er hatte den Mut, seinen eigenen Weg zu gehen, Dinge zu wagen, die noch keiner vor ihm jemals gewagt hat. Wie oft habe ich seine Ernsthaftigkeitverspottet, seine bohrende Art, seine Schwere und Düsternis. Warum?« Er blickte sie mit einer so gequälten Miene an, dass Clarissa erschrak. »Weil ich sie ihm nicht gönnte!«, rief er, und die Worte sprudelten nun aus ihm heraus, als habe er sie lange, allzu lange zurückgehalten. »Um nichts auf der Welt habe ich ihn mehr beneidet als eben darum: um seine Tiefe, um sein Anderssein, ja sogar um seine Einsamkeit und seine Verzweiflung. Er hatte ein Schicksal, ich hatte bloß Erfolg. Er wollte wissen und begreifen, was wahr ist und was falsch, was gut ist und was böse. Dinge, um die ich mich nie gekümmert habe. In seinen Bauwerken bekamen die Steine Zungen, durch ihn lernten sie sprechen, um die Worte Gottes und der Natur zu verkünden. Alles hatte bei ihm eine Bedeutung, jeder Pilaster, jeder Bogen, jede noch so unscheinbare Einzelheit. Er war ein Gottesdiener – ich war nur ein Augendiener, der am äußeren Schein hängen blieb. Die Schönheit war mein Fluch. Weil sie das Einzige war, wovon ich etwas verstand.«
    Clarissa griff
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