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Die Priesterin von Avalon

Die Priesterin von Avalon

Titel: Die Priesterin von Avalon
Autoren: Marion Zimmer Bradley , Diana L. Paxson
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Vollmacht der Kaiserin bringen kann«, sagte Cunoarda. Wir setzten uns auf die andere Bank, und die Dienerin brachte ein Tablett mit eingelegten Früchten und einem Krug Gerstenwasser, das an einem so warmen Tag sehr willkommen war. Obwohl Lena dünn war, schien sie weniger zerbrechlich, als hätten die Feindseligkeiten eine Kraft in ihr geweckt, die sie zuvor nie benötigt hatte.
    »Ich wünschte, Geld wäre meine einzige Sorge«, sagte Lena. »Nach dem Tod meines Vaters hat mein Onkel über meine Mutter zu bestimmen. Er ist bereit, sie bei sich aufzunehmen, aber Crispa und ich sind eine Verpflichtung, die selbst ein Vermächtnis nicht aufheben kann. Ich fürchte, es wird mich nur noch attraktiver für einen der Bauern machen, denen er mich angeboten hat. Es ist mir gleichgültig, was mit mir geschieht«, fügte sie verbittert hinzu, »aber was ist mit meiner Kleinen, wenn sie nur vor der Wahl steht, als Arbeitstier eines Bauern in Sicherheit zu leben oder zu sterben, wenn sie versucht, ihr Erbe in Rom zu einzufordern?«
    Ich hielt es nicht länger aus. Cunoarda schnappte nach Luft, als ich mich vorbeugte und meinen Schleier zurückwarf. »Sie hat noch ein anderes Erbe.«
    Lena riss die Augen auf, und im ersten Moment dachte ich, sie würde ohnmächtig.
    »Aber du bist in Rom gestorben…«
    »Ich bin für Rom gestorben«, verbesserte ich sie. »Wenn ich mich dir jetzt offenbare, lege ich mein Leben in deine Hände. Hör zu, Lena, du und Crispa seid alles, was mir von meinem Enkel geblieben ist, den ich von Herzen geliebt habe. Ich gehe an einen Ort, an dem mir selbst der Kaiser nicht folgen wird. Hast du den Mut, mit mir zu gehen?«
    Ich spürte Cunoardas missbilligende Blicke auf mir. Sie hatte nie wirklich daran geglaubt, dass wir entkommen könnten, und hielt unsere Chancen ohne Zweifel für noch geringer, wenn wir uns mit dieser zerbrechlichen Frau und einem Kind belasteten.
    Leichte Röte stieg in Lenas Wangen und verschwand wieder, sodass sie am Ende blasser war als zuvor. »Ich habe mich immer gefragt, warum Crispus mich heiraten wollte«, flüsterte sie. »Er war so ruhmreich und tapfer, und ich hatte immer Angst. Aber ich sehe, dass der Zeitpunkt gekommen ist, an dem ich mich würdig erweisen kann. Ich werde mit dir gehen, Herrin, ob zu den Hesperiden oder in den Hades!«
    »Unsere Reise führt uns zu den Hesperiden, Liebes«, sagte ich leise, »auf die Apfelinsel Avalon…«
    Crispa, die die Erregung ihrer Mutter spürte, hüpfte herbei und stellte sich neben Lenas Knie. Ihr Blick wanderte von unseren Gesichtern auf die kandierten Feigen auf dem Tisch und wieder zurück.
    »Crispa«, sagte ich leise. »Erinnerst du dich an mich?«
    Sie zog die Stirn kraus, und einen Moment lang sah ich eine uralte Seele, die mich aus ihren blauen Augen anschaute.
    »Du bist meine Mutter«, lispelte sie. Lena und Cunoarda tauschten besorgte Blicke, doch ich streckte die Hand aus und ergriff die warme kleine Hand des Mädchens.
    »Ja, das war ich, aber in diesem Leben bin ich deine zweite Avia, deine Urgroßmutter, meine Kleine«, sagte ich. »Möchtest du mit mir auf eine Reise gehen?«

    Als wir auf Ganuenta ankamen, waren neue Silberfäden in Cunoardas Haaren aufgetaucht. Doch falls die Agenten des Kaisers uns beobachteten, dann hatten sie keinen Befehl, uns zu behelligen. Als wir den Rhenus bei Mogontiacum erreichten, verkauften wir Pferd und Wagen und gingen an Bord eines Lastkahns für Holztransporte. Es war eine angenehme Art zu reisen, und die spektakuläre Schluchten des Flusses nördlich der Stadt ließen selbst Cunoarda staunen. Die größte Gefahr bestand darin, dass Crispa, die mit der Geschmeidigkeit eines Affen auf dem Lastkahn herumkletterte, über Bord fallen könnte.
    Der Rhenus trug uns rasch vorbei an den Außenposten, die Rom zur Bewachung der Grenzen eingerichtet hatte. Als wir uns an Colonia vorübertreiben ließen, blickte ich auf die Mauer, auf der Konstantius mir gesagt hatte, dass wir uns trennen müssten, und ich merkte, dass die alte Wunde in meinem Herzen endlich verheilt war. Neuerdings musste ich nur die Augen schließen, um sein Bild heraufzubeschwören, und ich erlebte unsere glücklichen Zeiten aufs Neue.
    Zuweilen, wenn ich so dasaß, hörte ich Lena ihrer Tochter zuflüstern, sie solle leise sein, denn alte Menschen schliefen oft und dürften nicht gestört werden. Neuerdings war es jedoch nicht Schlaf, der mich überkam, sondern es waren Wachträume, die man Erinnerungen nennt. Crispus
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