Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Priesterin von Avalon

Die Priesterin von Avalon

Titel: Die Priesterin von Avalon
Autoren: Marion Zimmer Bradley , Diana L. Paxson
Vom Netzwerk:
kuschelte sich in meine Arme, warm und goldgelockt und so wirklich wie die kleine Tochter, die ich vor mir sah, wenn ich die Augen aufschlug. Wenn ich in meiner Koje auf dem Lastkahn lag, streckte sich Konstantius neben mir aus und erzählte mir, was er in den Jahren unserer Trennung gemacht hatte. Selbst Konstantin kam hin und wieder in Gestalt des Jungen zu mir, der er war, ehe er sich an dieser Krankheit ansteckte, die sich Imperium nennt. Je länger unsere Reise andauerte, umso öfter suchten mich die Bewohner Avalons auf.
    Ich lernte rasch, diese Geisterscheinungen nicht zu erwähnen. Schlimmstenfalls glaubten meine Begleiterinnen, mein Verstand drifte ab, und bestenfalls bereitete es ihnen Unbehagen. Zum Glück wurde Lena mit jeder Meile, die wir uns von Treveri entfernten, kräftiger und gesünder, und sie verbündete sich mit Cunoarda. Wer sich Cunoardas offen gezeigter Tüchtigkeit widersetzte, war in der Regel umso mehr mit Lenas aristokratischen Manieren zu beeindrucken, und ich fand, dass ich ihnen die Organisation unserer Reise überlassen konnte.
    Warum hatte mir niemand gesagt, dass das Alter neben Schmerzen auch Geschenke bereithielt? Als Kind hatte ich mich immer gewundert, warum die alten Priesterinnen so zufrieden aussahen, wenn sie in der Sonne dösten. Sie wussten es, dachte ich lächelnd. Zuweilen, wenn ich auf der Schwelle zwischen Schlaf und Wachträumen schwebte, kamen mir Menschen und Szenen in den Sinn, die ich aus einem anderen Leben kannte. Die kleine Crispa war die Einzige, mit der ich reden konnte, wenn diese Erinnerungen aus weit zurückliegenden Zeiten schwer auf mir lasteten, denn die ganz Jungen sind gerade erst über diese Schwelle gekommen, welche die Alten im Begriff sind zu überschreiten, und manchmal erinnerte sie sich an das Leben, das wir schon einmal miteinander geführt hatten.
    Dann ging der Augenblick vorüber, und sie schoss davon, Leviyah auf den Fersen, um sich über die Reling zu beugen und zu beobachten, wie das grüne Wasser vorüberströmte. Dann war ich verlassen, aber nicht allein.
    In Ganuenta hatte ich Nehalennias Schrein besuchen wollen, doch es hieß, eine Flut habe ihn ein paar Jahre zuvor zerstört, und der Untergrund sei jetzt, da der Fluss seinen Lauf verändert habe, unsicher geworden. Mein erster Gedanke war, einen neuen Tempel zu stiften. Nachdem ich so viele christliche Kirchen unterstützt hatte, wäre dies sicher das Mindeste, was ich für die Göttin tun konnte, die mich so lange behütet hatte. Aber das hätte bestimmt unangenehme Fragen aufgeworfen, und die Gelder, die mir noch geblieben waren, benötigte ich zur Unterstützung der beiden Frauen, die ich jetzt als meine Töchter ausgab, und für das Kind.
    Wenn Nehalennia in Vergessenheit geraten war, konnte ich allein ihr Andenken nicht wiederherstellen. Ich rief mir ins Gedächtnis, dass die Göttin immer beständig war und sich doch immerzu veränderte. Wenn die Menschheit im langsamen Zyklus der Jahre erkannte, dass sie die Göttin wieder brauchte, würde Nehalennia gewiss wiederkehren. Doch in jener Nacht weinte ich in der Dunkelheit und trauerte um etwas Schönes und Kostbares, das aus der Welt verschwunden war.

    Zur Erntezeit trafen wir in Britannien ein. Es duftete nach frischem Heu, und die Lieder der Schnitter hallten über die Felder, auf denen das Korn nickte. Die See war während der Überfahrt rau gewesen, und selbst ich empfand das Ruckeln des Wagens als eine Erleichterung, nachdem wir drei Tage lang hin und her geworfen worden waren.
    »Britannien wirkt so klein«, sagte Cunoarda beim Anblick der sich abwechselnden Wälder und Felder hinter den abgerundeten Schultern der Dünen.
    »Das ist es wohl auch, wenn man die Strecke bedenkt, die wir zurückgelegt haben. Zweifellos wird uns Londinium klein vorkommen, verglichen mit Rom. Doch ich erkenne den Geruch des Heus und die Art, wie die Macht durch das Land strömt.«
    »Dennoch ist dieses Land ganz anders als meine Heimat«, sagte sie seufzend. »Ich wurde beim Überfall einer gegnerischen Sippe mitgenommen; da war ich nicht viel älter als die kleine Crispa. Ich kann mich an Hänge erinnern, auf denen die lila Heide blühte, und an das Blöken der Schafe, wenn sie von den Bergen herabkamen. Aber ich kann das Gesicht meiner Mutter nicht sehen. Ich glaube, sie ist gestorben, als ich noch klein war.«
    »Dann will ich deine Mutter sein, Cunoarda.«
    »Oh, aber das gehörte doch nur zu unserer Tarnung, während wir unterwegs waren.«
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher