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Die Priesterin von Avalon

Die Priesterin von Avalon

Titel: Die Priesterin von Avalon
Autoren: Marion Zimmer Bradley , Diana L. Paxson
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Sie lief bis zum Haaransatz rot an. »Du bist…«
    Ich legte ihr einen Finger auf die Lippen. »Ich bin jetzt nur Eilan, und ich habe allen Grund zu der Erkenntnis, dass die Kinder des Leibes nicht immer auch die Kinder des Herzens sind.« Während ich das vertraute, breite Gesicht betrachtete, war ich erstaunt, dass ich in all den Jahren, als ich geglaubt hatte, bar aller Liebe zu sein, den Schatz unter meinen Händen nicht bemerkt hatte.
    »Ich habe mir nie vorgestellt… Ich habe nie gewagt…« Sie schüttelte den Kopf, schniefte und wischte sich die Augen am Ärmel ab. »O meine Herrin - meine Mutter! Du hast mir die Freiheit gegeben, aber ich war noch leer. Jetzt hast du mir eine Seele gegeben!«
    Ich schloss sie in die Arme und hielt sie fest, bis ihr Schluchzen nachließ.

    In meinem Testament hatte ich Cunoarda das Haus in Londinium vermacht, und sie hatte aus Treveri geschrieben, um dem Pächter mitzuteilen, dass sie dort leben wolle. Als wir eintrafen, stand das Gebäude leer - es war tatsächlich fast unmöbliert, und Cunoarda und Lena verbrachten einen geschäftigen Tag auf dem Markt, um Bettzeug und Küchengeräte zu kaufen.
    Ich hatte mich darauf gefreut zu sehen, was in mehr als zwanzig Jahren aus der Stadt geworden war, doch an jenem Morgen fiel mir das Atmen schwer, und ich hielt es für das Beste, mit Crispa im Haus zu bleiben, die mir Gesellschaft leistete.
    »Avia, wer sind die hübschen Damen?« Crispa zeigte auf das Relief der vier Matronae, das ich vor so langer Zeit in Auftrag gegeben hatte. Es gehörte zu den wenigen Verzierungen, die meine Abwesenheit überlebt hatten, vielleicht weil es in die Wand eingelassen war.
    Ich holte vorsichtig Luft und drehte mich um. »Es sind die Mütter.«
    »Sieh mal! Eine hat einen Hund!«
    Bei dem Wort stand Leviyah auf und wedelte mit dem Schwanz.
    »Nicht du, du Dumme!«, rief Crispa und langte hinauf, um die in Stein gemeißelte Flanke des Hundes auf dem Schoß der dritten Figur des Frieses zu streicheln. »Und eine hat ein Kind, und die anderen beiden haben Obst und einen Laib Brot. Sind das Göttinnen?«
    »Sie sind die Göttin - aber SIE hat viele Gesichter, so viele wie es Mütter auf dieser Welt gibt, und wenn sie alt werden und ihren Körper verlassen, um in die Andere Welt überzugehen, wachen sie noch immer über ihre Kinder…«
    Ich hatte versucht, ruhig zu bleiben, doch Crispa war ein sensibles Kind, und sie kletterte auf meinen Schoß und schlang mir die Arme um den Hals.
    »Avia, wirst du immer auf mich aufpassen?«
    Als ich sie an mich drückte, spürte ich einen schmerzhaften Kloß in meiner Kehle; und ich wusste, er rührte nicht von der Kurzatmigkeit, sondern von unvergossenen Tränen.

    In jener Nacht kam meine Krankheit an einen kritischen Punkt. Ich rang nach Luft, sah das Entsetzen auf den Gesichtern von Cunoarda und Lena, und konnte sie nicht trösten.
    »Soll ich einen Priester holen lassen?«, fragte Cunoarda ängstlich.
    Ich brachte ein bellendes Lachen zustande. »Wozu? Ich bin bereits beigesetzt! Du hast die Beerdigungsrede von Bischof Sylvester gehört!« Dann musste ich erneut husten.
    Auf dem Höhepunkt meiner Anfälle hätte ich den Tod liebend gern angenommen und kämpfte nur noch weiter dagegen an, weil die beiden Frauen mich baten, sie nicht zu verlassen.
    Kurz nach Mitternacht begann der nach Minze duftende Dampf, mit dem Cunoarda den Raum füllte, mir Erleichterung zu verschaffen, und ich konnte etwas Schwarzwurztee trinken. Endlich fiel ich in einen Zustand zwischen Schlafen und Wachen, angelehnt an Lenas Brust.
    Während der Krise hatte ich gegen meine Schwäche angekämpft, da ich noch nicht bereit war, in die Nacht zu gehen. Jetzt erkannte ich, dass uns das, was wir in der Kindheit verlieren, im hohen Alter zurückgegeben wird. Statt im Dunkeln nach der Mutter zu rufen, die uns verlassen hat, noch ehe wir auf eigenen Beinen stehen konnten, sind wir jetzt, nachdem Kinder und Kindeskinder kamen und gingen, wirklich frei. In den dunkleren Augenblicken fühlen wir uns einsam, schwach und alt. Am Ende aber wird uns die Mutter wieder geschenkt, und wir werden wiedergeboren, kehren in die Kindheit zurück und liegen vertrauensvoll an der Brust unserer Töchter…
    Alles wird uns genommen, selbst Gott; wir geben uns dem Tode hin. Dann kehrt die Göttin zu uns zurück. Nachdem wir selbst zur Göttin, zur Mutter, wurden, haben wir die Göttin in unseren Töchtern, unseren Schwestern erschaffen. Wir wenden uns IHR zii und
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