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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin
Autoren: Peter Prange
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sein eigener Wunschgewesen. Noch über seinen Tod hinaus wollte er dazu beitragen, das Wissen zu mehren über die Natur des Menschen und das Rätsel seiner Existenz. Die Ärzte waren vor allem an seinem Gehirn interessiert, das so unglaublich viele Kenntnisse gespeichert und noch mehr Ideen hervorgebracht hatte, um Aufschluss zu bekommen über die Art und Weise seines Denkens. Doch ihre Erwartungen erfüllten sich nicht. Denn nicht sein Gehirn wies besondere Merkmale auf, sondern sein Herz. Es war um zwei Drittel größer als bei einem gewöhnlichen Menschen.«
    Malesherbes hörte ihr zu, ohne etwas zu sagen, den Blick in bangem Hoffen auf sie gerichtet. Als sie zu Ende gesprochen hatte, schloss er seine müden Augen. Dann beugte er sich über ihre Hand, um sie zu küssen.
    Eine lange Weile verharrte er so, ein Augenblick in der Ewigkeit.
    Als er sich wieder aufrichtete, waren seine Augen feucht von Tränen.
    »Danke«, sagte er leise, doch mit fester Stimme. »Jetzt habe ich meinen Frieden gefunden und kann endlich sterben.«
    Ohne ein weiteres Wort wandte er sich um und blickte zum Fenster hinaus. Sophie begriff, dass dies der Abschied war. Trotz seines Alters stand er aufrecht da, wie früher in einen braunen Rock aus einfachem Tuch gekleidet, auf dem der nachlässig geflochtene Zopf seiner Dreiknotenperücke lag.
    »Sie sollen das Amulett haben«, flüsterte sie. »Ich werde es Ihnen mit auf die Reise geben.«
    Dann verließ sie seine Zelle.
    Als sie ins Freie trat, empfing sie heller Sonnenschein. Vor dem Tor wartete Dorval. Ihr Sohn war gekommen, um sieabzuholen. Seine Frau erwartete ein Kind, Sophie hatte versprochen, ihr bei der Geburt zu helfen.
    Sie hakte sich bei ihm unter, und während in der Ferne ein Trommelwirbel anschwoll, gingen sie zu der Kutsche, die auf dem Platz mit offenem Schlag für sie bereitstand.
    Die Wehen hatten schon eingesetzt, sie mussten sich beeilen.

Dichtung und Wahrheit
     
    Im Leben Diderots gab es eine geheimnisvolle Frau: Sophie Volland. Jahrzehntelang war sie an seiner Seite, ohne dass wir wissen, wer sie wirklich war und in welcher näheren Beziehung sie zu ihm stand. Von ihr geblieben sind nur die Briefe, die Diderot ihr schrieb – und gäbe es nicht ein Testament von ihrer Hand, wir wüssten nicht einmal, ob sie in der Realität oder nur in diesen Briefen existierte.
    In Gestalt der »Philosophin« habe ich versucht, dieser Frau eine Identität und Geschichte zu geben. Um auf diese Weise Zugang zur Welt der Enzyklopädie zu gewinnen und in diesem Erzählkreis das große geistige Drama des Jahrhunderts zur Darstellung zu bringen: den Anspruch der Aufklärung auf innerweltliches Glück, den es gegen die Vertröstungen der Theologie und Reaktion auf ein jenseitiges Paradies durchzusetzen galt.
    Folgende Ereignisse, die im Roman zur Sprache kommen, gelten in der Forschung als gesichert:
1745:
Bis zu diesem Jahr finden in Frankreich die letzten Prozesse gegen Hexen, Zauberer und Magier statt; die unter Ludwig XIV. erlassenen Gesetze, wonach jeder Giftanschlag mit Magie identisch sei, da beide sich derselben Zaubermittel bedienten, sind nach wie vor gültig; Februar: Auf einem Maskenball erobert Mme de Pompadour König Ludwig XV.; am Hof von Versailles bilden sich in der Folge zwei Fraktionen: auf der einen Seite ein aufklärerischer Kreis um die neue Favoritin des Herrschers sowie auf der anderen Seite die Parteider Devoten um die Königin Maria Leszczynska und ihren polnischen Beichtvater Radominsky.
1746:
Erteilung des königlichen Druckprivilegs für die Enzyklopädie; ursprünglicher Plan des Druckerkonsortiums unter Führung Le Brétons, des Ersten ordentlichen Buchdruckers des Königs, ist eine erweiterte Übertragung von Chambers’
Cyclopedia
aus dem Englischen.
1747:
Diderot schreibt
Die geschwätzigen Kleinode,
motiviert durch Ansprüche seiner Mätresse Mme de Puisieux; Le Bréton gewinnt Diderot und d’Alembert als Herausgeber für die Enzyklopädie, das Projekt entwickelt sich zu einem eigenständigen Unternehmen; 30. April: Erneuerung des Druckprivilegs; 18. Oktober: Abschluss des Herausgebervertrags.
1748:
Im Januar erscheinen
Die geschwätzigen Kleinode;
Aufnahme der Arbeit an der Enzyklopädie; die Herausgeber gewinnen namhafte Philosophen und Wissenschaftler als Mitarbeiter; die Pariser Polizei beginnt mit der systematischen Erfassung verdächtiger Literaten und ihrer Aktivitäten; bis 1753 entstehen rund fünfhundert Autorendossiers.
1749:
Diderots
Brief
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