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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur
Autoren: Bernhard Wucherer
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einem süffisanten Grinsen, das sich bis zu seinen kantigen Wangenknochen hochschob. Dadurch sah er noch widerlicher aus, als dies zuvor schon der Fall gewesen war.
    Warte nur, das saudumme Grinsen wird dir noch vergehen, dachte sich der Kastellan, als er seinen ›Gast‹ formal, aber kühl, begrüßte.
    Ulrich Dreyling von Wagrain empfing den Geladenen nicht im Rittersaal. In diesen Raum hätte er den Schandfleck des Ortes niemals gebeten. Hier hatten schon viele hochrangige Gäste und sogar gekrönte Häupter gespeist. Einer von ihnen, König Maximilian I. von Habsburg, der 1507 hier logiert hatte und im Folgejahr zum Kaiser gekrönt worden war, hatte damals königlich getafelt. Glänzende Ferkelschwarten mit Trauben vom Bodensee und die besten Weine waren aufgetischt worden, während er sich an Musikanten, Possenreißern und maurischen Moriskentänzern, die in Salem gastiert und die man extra von dort hatte kommen lassen, ergötzte.
    Die sieben Südfenster des Saals gaben den Blick auf das faszinierende Panorama der Nagelfluhkette mit dem imposanten Obergölchenwanger Grat und dem Rindalpner Kopf frei. An der Wand zwischen den sieben Fenstern hingen Eisenschilde mit den Wappen der Hohenstaufer, der Schellenberger, der Buchhorner, der Kirchberger, der Montforter und der Königsegger – allesamt ehemalige und heutige Herren des rothenfelsischen Gebietes, zu dem auch die Herrschaft Staufen gehörte. Da der Saal nicht mehr allzu oft genutzt wurde, war er, bis auf die Einbauschränke, unmöbliert. Nur wenn Gesellschaften gegeben wurden, stand in der Mitte ein großer Tisch, an dem bis zu hundertzwanzig Gäste Platz finden konnten.
    Das Gespräch wird eh nicht lange dauern, hoffte der Kastellan, während er den Ortsvorsteher mit einer Handbewegung ins ›Gelbschwarze Streifenzimmer‹ führte. Dieser Raum erinnerte an die Ritter von Schellenberg, die 1311 erstmals in Zusammenhang mit der Burg Staufen urkundlich erwähnt wurden. Ihnen zu Ehren hatte man die Wände streifengleich in den Farben der gleißenden Sonne und des nachtschwarzen Himmels bemalt.
    Der Kastellan war sachlich und ungewohnt kühl. Er hatte seine Frau gebeten, keinen Wein aufzutischen, wie sie es ansonsten unaufgefordert tat, wenn Besuch ins Schloss kam. Er wollte die unangenehme Sache hinter sich bringen und den undurchsichtigen Galgenvogel so schnell wie möglich wieder loswerden. Obwohl der Kastellan in der Vergangenheit schon mit dem ehemaligen Immenstädter Bibliothekar zu tun gehabt hatte, erkannte er ihn wegen dessen Bart nicht. Er konnte ja nicht ahnen, dass vor ihm ein amtlich gesuchter Dieb und Urkundenfälscher, geschweige denn ein Mörder saß, dessen Gefährlichkeit und Skrupellosigkeit sich erst noch so richtig zeigen sollte.
    Dennoch eröffnete er das Gespräch mit den Worten: »Immer wenn ich Euch sehe, habe ich das Gefühl, Euch vor Eurer Zeit in Staufen irgendwo schon einmal gesehen zu haben.«
    Obwohl ihn der Kastellan unverhohlen abschätzig musterte, antwortete der Ortsvorsteher mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre er tatsächlich schon einmal in der oberschwäbischen Türmestadt gewesen.
    »Wie Ihr seit meiner Bestallung wisst, war ich zuvor in Diensten der freien Reichsstadt Ravensburg, und es könnte gut sein, dass Ihr mich früher schon einmal gesehen habt. Vielleicht treffen wir uns irgendwann einmal dort.«
    »Das könnte gut möglich sein. Denn so, wie die Dinge liegen, werdet Ihr Euch eine andere Arbeit suchen müssen. Eure Dienste als Ortsvorsteher werden hier nicht mehr benötigt«, nutzte der Kastellan das Stichwort, um dem ungeliebten Gast gleich zu zeigen, weswegen er ihn hierher zitiert hatte. »Wie Ihr sicherlich wisst, gehen fast täglich Beschwerden über Euch ein und…«
    Ruland Berging rieb sich fast andächtig die Hände und fiel dem Kastellan schleimig ins Wort: »Edler Herr …«
    »Schweigt! Ihr kommt erst zu Wort, wenn ich es Euch zugestehe«, unterbrach jetzt der Kastellan den angefangenen Satz und sprach gleich weiter: »Ich kann zwar nicht allen Euch zur Last gelegten Schandtaten nachgehen, weiß aber, dass Ihr Euch in der kurzen Zeit, seit Ihr unser Ortsvorsteher seid, gleich in mehreren Punkten strafbar gemacht habt.« Der Kastellan lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und wartete auf die Reaktion des Ortsvorstehers.
    Ruland Berging überlegte kurz und schien sich zum Protest entschieden zu haben, was er auch gleich zeigen wollte. Darauf hatte der Kastellan nur gewartet. Er ließ den
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