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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur
Autoren: Bernhard Wucherer
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aus freien Stücken von mir erzählen«, beendete der schräge Vogel den Disput.
    Er konnte es nicht erwarten, von Ruland Berging mehr darüber zu erfahren, wie er an Geld kommen konnte.
    »Matheiß! Bringst du uns noch zwei Humpen?«, rief der Ortsvorsteher so laut durch die beiden Gaststuben zum Wirt in den Schankraum, dass sich ihm alle Köpfe entgegenreckten. »Ich warte!«, drängte er den Medicus, nachdem die Schankmagd das Bier gebracht und sie ihren Stimmbändern hinreichend Flüssigkeit zugeführt hatten.
    »Also gut«, sagte der dreiundvierzigjährige Arzt und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum vom Mund, bevor er zu erzählen begann.
    Obwohl er ein paar schwarze Flecken in seiner biografischen Landkarte weggelassen hatte, war es für den Ortsvorsteher hochinteressant gewesen. Genau so habe ich mir das vorgestellt. Dich krieg’ ich, dachte er und hob abermals den Becher zum Anstoßen.
    Auch sein Gegenüber nahm wieder einen großen Schluck, rülpste und sagte: »Jetzt bist du dran!«

    Da Ruland Berging über die Offenheit des Arztes erstaunt war, wollte er sich jetzt auch nicht lumpen lassen und begann zu erzählen: »An meine Kindheit kann ich mich nur noch schwach erinnern. Eines dieser armen Bergdörfer … und meine Mutter ständig mit einem anderen Balg auf dem Arm.« Er verdrehte die Augen. »Ich weiß noch, wie sie mich entgeistert angesehen hat, als ich so ein kleines Bündel auf den Boden geworfen habe. Danach hat sie mich nicht mehr zu Hause behalten wollen. Wie ich die Sache noch im Kopf habe, waren Vater und Mutter mit meiner Erziehung überfordert.« Er lachte trocken und gehässig auf.
    »Ich muss so um die sechs Jahre alt gewesen sein, als mein Vater immer wieder gesagt hat, ein Esser weniger würde meinen Geschwistern helfen zu überleben. Jedenfalls haben sie mich irgendwann zu den Franziskanern nach Lenzfried gebracht und …«
    »Zu den Pfaffen?«, fiel ihm der Medicus ins Wort.
    »Nicht zu den Pfaffen, du gottloser Säufer. Zu den Patres des 1210 durch Franz von Assisi gegründeten Bettelordens – das ist ein Unterschied!«, belehrte Berging den Medicus und erzählte unbeirrt weiter: »Die Franziskaner sind in dieser Allgäuer Gemeinde auch heute noch eine richtige Bastion. Nachdem meine Eltern mich dorthin gebracht hatten, war dem Feigling von einem gottverdammten Vater nichts anderes eingefallen, als mich wie ein Stück Vieh direkt neben der Klosterpforte anzubinden. Von da an habe ich ihn und meine Mutter nie mehr gesehen.« Als er dies erzählte, stieg Wut in ihm hoch, und seine Hände verkrampften sich zu Fäusten. »Irgendwann ist ein Pater gekommen, hat mich losgebunden, mich mit hineingenommen und mir etwas zu essen gegeben.«
    »Und dann?«, wollte sein interessierter Zuhörer wissen.
    »Dann haben sie mich nach den Regeln des heiligen Franziskus aufgezogen.«
    »Was nichts genützt hat«, lästerte der Medicus.
    »Aber ich habe Lesen und Schreiben gelernt. Sie haben mich sogar zum Bibliothekar ausgebildet.« Ruland Bering musste lachen. »Es ist ihnen aber nicht gelungen, einen dieser schleimigen Glaubensbrüder aus mir zu machen.«
    »Wenn du kein Franziskanerpater werden wolltest, haben sie dich dann nicht rausgeworfen?«
    »Irgendwann schon: Als ich zum Mann herangereift war, wollte auch der Leiter des Klosters nichts mehr mit mir zu tun haben.« Ruland Berging versuchte, die sanfte Stimme des Guardians nachzuäffen: »Mein Sohn, du hast dich trotz deines Lebens hinter Klostermauern nicht wunschgemäß entwickelt. Wir haben kläglich versagt.«
    »War das alles?«, fragte der Medicus.
    »Natürlich nicht. Er hat mir zu Ehren sogar mehrere Messen lesen lassen, bevor er mich weggeschickt hat. Wenigstens haben mich ein paar dieser sauberen Brüder nach Ravensburg gefahren, wo ich aufgrund guter Beziehungen des Klosterleiters zum dortigen Oberamtmann Arbeit in der gräflichen Kanzlei bekommen habe.« Aus Sicherheitsgründen verschwieg er, dass es nicht Ravensburg, sondern das Oberamt im nahe gelegenen Immenstadt war.
    Als der Ortsvorsteher eine Pause machte, um zu trinken, fragte der Medicus, wie es weitergegangen war.
    »Na ja, ich habe meine Arbeit gemacht und zwischendurch …«, Berging räusperte sich, »etwas Geld dazuverdient. Dass dies dem Oberamtmann über kurz oder lang nicht gefallen hat, war klar.«
    »Was? Du hast geklaut und dich dabei erwischen lassen?«, mutmaßte der Medicus.
    »Ja!«, antwortete Ruland Berging, der über den Arzt auch so einiges
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