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Wildes Blut

Wildes Blut

Titel: Wildes Blut
Autoren: Shril Henke
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1. KAPITEL
    Frühjahr 1866
    Mercedes Sebastian de Alvarado stellte sich in dem großen Herrenhaus, das in den vergangenen vier Jahren ihr Zuhause geworden war, auf die Zehen, um durch das vergitterte Fenster der sala hinauszuspähen. Vierzig Fuß hohe Weiden beschatteten den Hof. Dort drängten sich aufgeregte Dienstboten um den Mann, mit dem sie verheiratet war: Don Lucero Alvarado.
    "Ich muss ihm entgegentreten. Ich darf mich nicht hinter dem Vorhang verstecken wie ein Feigling", mahnte sie sich selbst.
    Sie wandte sich dem aus Frankreich importierten Spiegel zu, ordnete ihr Haar und bemerkte dabei, wie bleich sie geworden war. Gut. Dann konnte er ihr wenigstens nicht vorwerfen, dass ihre Haut von der Sonne verbrannt war, wie Don Anselmo es getan hatte. Aber ich werde mich ihm nicht beugen! Nie mehr!
    Sie begab sich aus der sala in die Eingangshalle, um ihn zu erwarten.
    Mercedes ließ den Gatten nicht aus den Augen, während er sich dem Säulengang näherte. Noch immer umringten ihn die Dienstboten.
    Wenigstens ist Innocencia nicht dabei, der heiligen Jungfrau sei es gedankt!

    Luceros Bettgespielin hatte während seiner Abwesenheit für Angelina in der Küche arbeiten müssen. Mercedes erinnerte sich noch gut daran, wie die beiden Arm in Arm, betrunken und lachend, über den Hof zu Innocencias Quartier gegangen waren, in jener Nacht, da sie von Mexico City gekommen war, um ihre Verlobung mit Lucero zu feiern. Sie war so verletzt gewesen!
    Und doch - um wie viel mehr war sie gedemütigt worden, nachdem die Ehe erst vollzogen war!
    Sie straffte die Schultern und versuchte, mit dem Zorn über die alten Kränkungen ihre Angst zu vertreiben. Verborgen im Schatten der großen Halle, konnte sie ihn unauffällig mustern.
    Er wirkte sogar noch bedrohlicher als damals, da sie ihn zum erstenmal gesehen hatte. Eine weiße Narbe auf seiner linken Wange fiel ihr auf, und sie vermutete, dass die harten Kriegsjahre ihn geprägt hatten. Seine Haut war immer schon dunkel gewesen, doch jetzt hatte die Sonne sie noch tiefer gebräunt, und in seinen Augenwinkeln erschienen feine Linien, wenn er lachte und seine weißen Zähne hell aufschimmerten.
    Seltsam, dass er die Begrüßung durch die Dienstboten so zu genießen schien. Früher hatte er sich nur selten mit ihnen abgegeben, aber diesmal kehrte er schließlich heim, nachdem er den Schrecknissen des Krieges entkommen war.
    Sie betrachtete sein Profil, das noch genau so aussah, wie sie es in Erinnerung hatte. Es war von solcher Perfektion, wie nur Dutzende Generationen kastilianischer Vorfahren sie hervorbringen konnten, mit einer hohen Stirn, kühn geschwungenen schwarzen Brauen, einer markanten Nase und einem breiten, sensiblen Mund. Ein dunk ler Bart umschattete sein kantiges Kinn, nachtschwarze Locken schmiegten sich an seinen Nacken, und eine Strähne fiel ihm kühn bis auf die Brauen. Er besaß die anmutige Kraft eines Berglöwen, niemals war auch nur eine Unze Fett zuviel an seinem Körper gewesen.
    Seine Hände wirkten schlank und kraftvoll zugleich, mit langen Fingern, die Hände eines Caballero. Doch sie erinnerte sich nur zu gut daran, wie grausam seine Berührung sein konnte, und sie erschauerte.
    Heute war er gekleidet wie ein Bandit, in staubiges graues Zeug, und bewaffnet wie eine Ein-Mann-Armee. An seiner Hüfte hing eine Pistole, ein langes Messer auf der anderen Seite, und über der Brust gekreuzt trug er zwei Patronengurte. Jetzt hatte er die breite Vordertür erreicht und schaute hinein. Dabei legte er ganz leicht den Kopf schief, und der hypnotisierende Blick aus seinen Wolfsaugen mit den unheimlichen silbernen Glanzlichtern darin blieb an ihr hängen.
    Mercedes verspürte das altvertraute Gefühl, eine Mischung aus Faszination und leichtem Schwindel. Sie hatte seine überwältigende männliche Ausstrahlung schon immer gefürchtet. Nie wieder! Ich bin kein junges, unerfahrenes Mädchen mehr! Entschlossen trat sie ins Licht und sah ihn an.
    "Willkommen zu Hause, mein Gemahl."
    Er ließ seinen Blick von ihrem glänzenden goldenen Haar über ihr kleines, herzförmiges Gesicht und dann weiter hinab wandern, um ihre schlanke Gestalt abschätzend und dreist zu mustern. Sie war kaum mehr als fünf Fuß groß und von zarter Statur, doch selbst jetzt, da sie eine locker fallende camisa und die weiten Röcke der paisana trug; waren die unverkennbaren Rundungen ihrer Hüften und Brüste für seinen geübten Blick nicht zu übersehen. Als sie ihn mit ihrer kühlen,
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