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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur
Autoren: Bernhard Wucherer
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Obwohl er ein hoher Beamter war, wurde der Kastellan von seinen Staufnern nicht nur respektiert, sondern war überdies auch noch sehr beliebt. Dies gefiel auch Johannes Glatt, seines Zeichens Propst des hiesigen Kollegialstiftes und Pfarrer von St. Petrus und Paulus, der mit dem Verwalter eng befreundet war und dessen beide jüngeren Söhne Lodewig und Diederich unterrichtete, nachdem er aus dem ältesten Sohn Eginhard einen Studiosus der Medizin und der Heilkräuterkunde geformt hatte. Auch mit dem verstorbenen Ortsvorsteher hatte Ulrich Dreyling von Wagrain ein inniges Verhältnis verbunden. Aber der neue Ortsvorsteher! Er seufzte. Mit dem gab es nichts als Ärger.
    Der viel beschäftigte Schlossverwalter konnte nur einen einzigen Tag hier sein. Da das letzte Drittel des Jahres angebrochen war, musste er jetzt öfter in die Residenzstadt Immenstadt, um entweder beim Grafen Rechenschaft abzulegen oder mit dessen rechter Hand, Oberamtmann Conrad Speen, die Richtigkeit der dürftigen Steuerzahlungen zu prüfen. Außerdem kreisten ihre Gespräche auch ständig um die Frage, wie den drängenden kriegsbedingten Problemen am besten beizukommen sei.
    Wenn der Kastellan in dieser Jahreszeit nicht in Immenstadt weilte, war er in den Wäldern rund um Staufen zu finden. Die alljährlich im Herbst durchgeführte Bestandsaufnahme des gräflichen Forstes sollte dazu beitragen, die Menge des während des Winters gestohlenen Holzes im nächsten Frühjahr genauer feststellen zu können. Obwohl Ulrich Dreyling von Wagrain wusste, dass die Staufner Untertanen des Grafen nicht so dumm waren, das Holz ausgerechnet im Winter zu klauen und dies bereits jetzt schon an sicheren Plätzen versteckt haben dürften, musste er sich auch dieser Aufgabe widmen. Mit dem Wildbestand verhielt es sich ähnlich. In beiden Punkten hielt er stillschweigend zu den frierenden und hungernden Staufnern und bog sowohl die Holzlisten als auch die in Tabellen erfassten Wildtierzahlen so hin, dass aus Immenstädter Sicht alles seine Ordnung hatte. Wenn er allerdings feststellte, dass einer seiner Staufner übertrieb, knöpfte er sich diesen – und sei die Not noch so groß – persönlich vor, würde ihn aber niemals der Gerichtsbarkeit ausliefern. Denn er kannte die harten Strafen für Waldfrevel und Wilderei. Stattdessen ließ er ihn zum Wohle der Allgemeinheit fronen .

    Nachdem er sich – kaum in Staufen eingetroffen – schon wieder Beschwerden über Ruland Berging hatte anhören müssen, reichte es ihm. Er selbst hatte zwar noch nicht allzu viel und vor allen Dingen auch nicht direkt vom schändlichen Treiben des neuen Ortsvorstehers mitbekommen, da dieser es stets verstanden hatte, seine kleinen Gaunereien geschickt vor ihm zu verbergen. Aber was der Kastellan jetzt von mehreren ehrbaren Staufnern hörte, genügte, um sich seinen eigenen Reim auf Ruland Bergings Verständnis von seinem Amt zu machen.
    Als er auch noch vom Steinmetz Florian Egger erfuhr, dass der Ortsvorsteher die großen, fein gehauenen Granitblöcke, die in der alten Schranne lagerten, für ein paar Gulden hatte verkaufen wollen, war der Kastellan mehr als ärgerlich geworden. Er konnte es kaum glauben, dass Berging die wertvollen Steine, die dem Grafen gehörten und die für den Bau einer Marienkapelle vorgesehen waren, einem fahrenden Händler einfach so zum Kauf angeboten hatte. Aber der Steinmetz war absolut glaubwürdig. Schon sein Urgroßvater diente den Grafen Hugo XII. und Ulrich VIII. von Montfort, Vorgängern des amtierenden Regenten. Florians Großvater war sogar extra von seinem zwischen Staufen und dem Alpsee liegenden Wohnort nach Staufen gezogen, um die ständig anfallenden Renovierungsarbeiten am Schloss Staufen besser überwachen zu können. Seit vier Generationen waren die Steinmetze aus Wiedemannsdorf jetzt schon für den guten baulichen Zustand der Schlösser in Immenstadt und Staufen, sowie der öffentlichen Gebäude im gesamten Herrschaftsgebiet, zuständig und hatten ihre Arbeit stets zur Zufriedenheit ihrer Herren verrichtet – also gab es nicht die geringsten Zweifel an der Glaubwürdigkeit eines Vertreters dieses ehrbaren Handwerkergeschlechtes, das zudem auch noch zünftig war. Da nun das Maß übervoll war, bestellte der Kastellan den Ortsvorsteher Ruland Berging offiziell zu sich aufs Schloss, um ihn zur Rede zu stellen und ihn seines Amtes zu entheben.

    *

    Der durchtriebene Mann, der genau wusste, was auf ihn zukommen würde, betrat das Schloss mit
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