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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Autoren: Hans Küng
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DEN MENSCHEN, DIE MICH GETRAGEN HABEN,
    IN DANKBARKEIT GEWIDMET
     
     
     
     
    Rechenschaft. Meine letzten drei Jahrzehnte
     
    Das Leben geht weiter – aber wie!? So hatte ich mich vor drei Jahrzehnten nach den dunkelsten Wochen meines Lebens selber gefragt. Und kann es heute in einem Wort sagen: besser als damals vorauszusehen!
    Der erste Band meiner Lebenserinnerungen, »Erkämpfte Freiheit«, schildert den Zeitraum von 1928 bis 1968 mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil als theologischem und kirchengeschichtlichem Höhepunkt. Der zweite Band unter dem Titel »Umstrittene Wahrheit« stellt die Jahre von 1968 bis 1980 dar und erreicht den Tiefpunkt im Entzug meiner kirchlichen Lehrbefugnis. Wie beim ersten und zweiten handelt es sich auch in meinem dritten und letzten Band, der die Zeit von 1980 bis heute behandelt, nicht einfach um »Memoiren« im üblichen Sinn, sondern um Erzählung und Reflexion zugleich: um Zeit-, Kirchen-, Theologie- und Religionsgeschichte, erlebt von einem Zeitzeugen und Theologen. Erlebte Menschlichkeit mit all ihren Licht- und Schattenseiten.
    Aber wie die ungeheure Stofffülle bewältigen und ordnen? Sollte ich chronologisch oder systematisch vorgehen? Ich entschloss mich zu einer thematischen Bündelung in einzelne Kapitel – allerdings auf dem Hintergrund des chronologischen Ablaufs der Ereignisse. So bemühte ich mich, die in Memoiren notwendige Ich-Bezogenheit durch eine starke Sach-Bezogenheit auszugleichen. Ich betreibe kein »Name-dropping«, sondern möglichst umfassende zeitgeschichtliche Dokumentation. Ich befolge den Ratschlag des großen »Homme de Lettres« Walter Jens, meines Freundes, der am 9.   Juni 2013 verstorben ist: »Du darfst in deiner Autobiographie über alles schreiben, nur muss es immer einen Bezug zu dir haben«.
    Für mich ist es eine erneut spannende, konfliktreiche und ergebnisreiche Geschichte, bei der ich oft, statt breit zu erzählen, zuspitzen, statt Details zu addieren, resümieren muss. Meine persönliche Erinnerungsgeschichte lässt sich nun einmal von der Geschichte der kirchen- und weltpolitischen Kontroversen nicht trennen, und die Darstellung der großen Gedankengänge lässt sich oft an kleinen Abläufen treffend illustrieren. Anekdoten dienen dabei nicht nur der Auflockerung und Erheiterung, sondern oft auch der Erhellung des Grundsätzlichen. Auf diese Weise wird mancher Leser sich darüber freuen, Weltreligionen, Weltgeschichte und Weltpolitik in einem kennenzulernen. Und so hoffe ich denn, dass viele Leser die Ausdauer haben, das notgedrungen umfangreiche Buch ganz zu lesen, auch wenn ich verstehen kann, dass der eine oder andere aus den zwölf Kapiteln zunächst dasjenige auswählt, das ihn oder sie am meisten interessiert.
    Der Entzug der kirchlichen Lehrbefugnis unmittelbar vor dem Weihnachtsfest 1979 war für mich eine zutiefst deprimierende Erfahrung. Doch bedeutete sie zugleich den Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Ich konnte eine ganze Reihe neuer Themen in den Blick nehmen, die nicht nur die Kirche, sondern die Menschheit bewegen: Frau und Christentum, Theologie und Literatur, Religion und Musik, Religion und Naturwissenschaft, den Dialog der Religionen und Kulturen, den Beitrag der Religionen für den Weltfrieden und die Notwendigkeit eines gemeinsamen Menschheits- oder Weltethos.
    All diese Arbeit konnte selbstverständlich nicht nur am Schreibtisch geleistet werden, so wichtig die akademische und publizistische Tätigkeit in diesem Kontext auch war. Sie führte zu ungezählten Reisen weltweit und zu zahllosen Begegnungen mit bedeutenden und weniger bedeutenden Zeitgenossen aus Religion, Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft und hatte mit Universitäten ebenso zu tun wie mit Einblicken in die konkrete Lebenswelt, mit der UNESCO ebenso wie mit den Vereinten Nationen, mit dem Weltwirtschaftsforum in Davos ebenso wie mit dem Parlament der Weltreligionen in Chicago. Sie fiel in eine Periode, in der sich die Welt in bisweilen dramatischer Weise neu orientierte und ordnete. Und so muss ich beim Erzählen meiner Lebensgeschichte immer auch die welthistorischen Entwicklungen im Auge behalten. Doch bei allen Irrungen und Wirrungen hat sich mein grundsätzlicher Standpunkt, der eines aufgeklärten, ökumenisch offenen und gesellschaftskritischen Christen, nicht geändert. Ich habe diese meine ganzheitliche Weltsicht unterdessen in einer Synthese meiner Spiritualität dargelegt unter dem Titel »Was ich glaube«
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