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Die Papiermacherin

Titel: Die Papiermacherin
Autoren: Conny Walden
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hatten. Li hatte nur deswegen keine Mühe, ihn zu verstehen, weil sie zuvor schon auf Uigurisch erfasst hatte, was er wollte. Schließlich ließ Toruk annähernd dieselben Worte noch auf Persisch folgen. Eine so große Gelehrsamkeit in der Kunst, fremde Sprachen zu erlernen, hatte Li ihm einerseits gar nicht zugetraut. Aber andererseits kamen diese Nomaden weit herum und konnten kaum erwarten, dass in den großen Städten, die sich sowohl im Osten als auch im Westen entlang der Seidenstraße aneinanderreihten, irgendjemand die Zunge eines unbedeutenden Nomadenstammes beherrschte.
    Li zitterte. In der Nacht wurde es empfindlich kalt, und abgesehen von dem, was sie am Leib trug, hatte sie nichts bei sich. Toruk sah dies, und ein schiefes Lächeln spielte um seine Lippen. »Der Dung der Pferde mag euch Abkömmlinge von streunenden Hunden wärmen«, knurrte er. »Aber vielleicht ist es besser, euch beim Feuer zusammenzutreiben – dann kann man euch besser sehen und niemand unter euch empfindlichen Bewohnern fester Häuser wird mir in den nächsten Nächten am Husten sterben …«
    »Wir sollen mit diesem Gewürm aus dem Han-Volk an einem Feuer sitzen?«, ereiferte sich jetzt Mahmut. »Bei Allah, Mani und den Windgeistern der Steppe – du verlangst viel von mir, Toruk.«
    Toruk lachte. »Du verlangst aber auch viel von dem neuen Gott Allah, den du im Westen kennengelernt hast. Ich glaube nicht, dass seine Imame es gutheißen, wenn du alles in einem Atemzug anrufst. Oder machen die Anhänger Mohammeds neuerdings auch jeden Berggeist zu einem ihrer Heiligen? Das wäre mir neu.«
    »Du meinst, so wie es die Manichäer tun!«, knurrte Mahmut, und in seinen Augen funkelte es auf eine Weise, die erkennen ließ, dass für ihn Toruks Spott nur schwer erträglich war. Eine Hand Mahmuts schloss sich um den Griff des leicht gebogenen Schwertes, das er am Gürtel trug und das ganz offenkundig nach Art der Perser und Araber geschmiedet war.
    Das erkannte sogar Li, die ansonsten weder etwas von den Kriegskünsten noch von Waffen verstand. Damaszener Stahl hatte einen geradezu legendären Ruf, auch auf den Märkten von Xi Xia. Aber noch berühmter war der sogenannte schwarze Stahl, der aus den Bergen Chorasans kam. Persische Schmiede gossen ihn zu dunklen Barren. Li hatte schon gesehen, wie sie auf den Märkten hin und wieder gehandelt und mit reinem Silber aufgewogen wurden, denn aus diesen Barren ließen sich Schwerter von besonderer Festigkeit schmieden. Zumindest wenn sie in die Hände von vollendeten Schmiedemeistern kamen, wie sie im Dienst des Himmelssohnes im fernen Bian standen.
    Diese Nomaden allerdings hatten solche Schwerter nicht selbst geschmiedet, sondern vermutlich beim Überfall auf Karawanen gestohlen oder weit im Westen gegen Raubgut eingetauscht, das sie anderswo erbeutet hatten.
    »Lasst die Gefangenen etwas trinken!«, rief Toruk seinen Männern zu. »Führt sie in Gruppen zu zehnt an die Wasserstelle und lasst sie trinken, wenn die Pferde genug gesoffen haben! Und erschlagt nicht zu viele, wenn sie Widerstand leisten. Sonst hat sich der Raubzug nicht gelohnt!«
    Die Uiguren brüllten vor Lachen, aber Li lief es kalt über den Rücken.
    »Mir knurrt der Magen«, meinte Wang später leise an seine Tochter gewandt. Er rieb sich die Hände. Offensichtlich fror auch er. Sie kauerten am Feuer und mussten zusehen, wie die Uiguren ihre Vorräte auspackten.
    »Sie werden uns nicht verhungern lassen, sonst können sie uns nicht weiterverkaufen«, meinte Li. »Oder für die hochwohlgeborenen Mitglieder unserer Leidensgemeinschaft noch ein Lösegeld erwarten …«
    »Was auch geschieht, wir werden es ertragen müssen, Li. Es gibt nichts, was wir tun könnten. Nichts, was unsere Lage verbessern würde.«
    Li sah ihren Vater an, und auf ihrer glatten Stirn erschien ausnahmsweise eine Falte – gut sichtbar im Licht des immer stärker prasselnden und aufflammenden Feuers. »Heißt das, wir müssen jede Hoffnung aufgeben?«, fragte sie flüsternd.
    »Oh nein, davon kann keine Rede sein!«, erwiderte Wang. »Aber so, wie sich die Bäume und das Gras der Steppe dem Wind beugen, werden wir uns auch beugen müssen. Wir sind nicht der Wind, Li, sondern das Gras.«
    Li schlief unruhig und unbequem auf dem nackten Boden. So weit wie möglich hatte sie sich zusammengerollt. Das Wiehern eines Pferdes und die rauen Rufe von Toruks Leuten weckten sie schließlich.
    Li taten die Beine und das Gesäß weh. Jeder Muskel und jede Sehne
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