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Die Papiermacherin

Titel: Die Papiermacherin
Autoren: Conny Walden
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bis hinauf zum Rücken schmerzten, als sie versuchte, sich zu erheben.
    Wang bemerkte, wie es seiner Tochter ging. »Wir sind das Reiten nicht gewöhnt«, sagte er. »Nicht auf diese Weise zumindest …«
    »Ich kann mich kaum bewegen«, meinte Li.
    »Doch, du kannst«, sagte Wang. »Du kannst mehr aushalten, als du im Moment für möglich halten magst. Was immer geschieht – nimm es als Prüfung, so wie es der Weise Lao-she von uns fordert.«
    Li widersprach nicht – denn auch wenn ihr Vater im Moment einen wenig würdevollen Eindruck machte, änderte dies nichts an dem tiefen Respekt, den sie vor ihm empfand.
    Die Worte Lao-shes und anderer Weisen kannte sie sehr wohl. Aber im Augenblick glaubte sie nicht daran, stark genug zu sein, um diese Prüfungen zu bestehen.
    Noch ehe die Sonne aufging, wurde die Reise fortgesetzt. Von Norden her blies ein eisiger Wind, während sich im Osten bereits die ersten Strahlen der blutroten Morgensonne über den Horizont stahlen. Die Berge bildeten gezackte Schattenlinien, die sich dunkel und drohend dagegen abhoben.
    Bevor der Zug aufbrach, verrichteten die Muslime unter den Uiguren ihr Morgengebet. Etwa zwei von zehn Männern bekannten sich zum Glauben an die Lehre Mohammeds. Die anderen waren offenbar bei dem unter den Uiguren traditionell stark verbreiteten Manichäertum geblieben. Mit skeptischen Gesichtern betrachteten sie ihre betenden Gefährten.
    »Als wir Uiguren noch ein großes Reich hatten, wäre es undenkbar gewesen, dass jemand einer anderen als der Lehre des Mani folgt«, hörte Li einen der Männer sagen. »Kein Vater sollte zulassen, dass seine Söhne mit Karawanen nach Westen ziehen, denn was sie von dort mitbringen, sind ansteckende Krankheiten und dieser neue Glaube, der sich verbreitet wie eine Pestilenz!«
    Nach allem, was Li über die Lehren von Mohammed, Mani und Jesus wusste, war ihnen allen gemein, dass sie ihren Anhängern geboten, Andersgläubige zu missionieren und den eigenen Glauben bis in die hinterste Ecke der Welt zu tragen.
    Nur an einen einzigen Gott zu glauben fand sie sehr eintönig, und vor allem schien dem Respekt vor den Ahnen nicht der Wert zuzukommen, den sie für angemessen hielt. Und so konnte Li gut verstehen, dass es unter den Uiguren nicht wenige gab, die sowohl zu Mani als auch zu Allah beteten. Sie hatten offenbar ihre ganz persönliche Mischung beider Glaubenswelten für sich gefunden oder wollten einfach auf Nummer sicher gehen, was wohl hieß, möglichst keinen Gott oder Propheten durch Nichtbeachtung zu beleidigen und so viel übernatürliche Hilfe wie möglich zu ergattern.
    An das, was in den nächsten zwei Tagen geschah, erinnerte sich Li später nicht mehr in allen Einzelheiten. Sie krallte sich am Sattelknauf fest und versuchte, nicht vom Pferd zu rutschen. Die Pausen waren selten, zu essen gab es die ganze Zeit über nichts, und nur dann, wenn die Tiere getränkt wurden, konnten auch die Gefangenen etwas von dem eiskalten Nass der kleinen Wasserläufe oder Quellen zu sich nehmen, die Toruks Leute offenbar hervorragend kannten.
    Als dann in der Ferne ein Lager mit einigen hundert Jurten auftauchte, glaubte Li zunächst, ihren Augen nicht zu trauen. Schließlich hatten sich die Reiter in den letzten Tagen bewusst abseits der Handelswege bewegt und waren außerdem allen Siedlungen ausgewichen, die es weit verstreut in diesem immer karger werdenden Land gab.
    Eine Stadt aus Zelten lag vor ihnen, und einige davon waren größer als so manches Haus.
    Toruks Männer trieben die Pferde auf dem letzten Teil des Weges noch einmal voran. Im Lager war man inzwischen auch auf die Ankömmlinge aufmerksam geworden, und innerhalb kurzer Zeit hatten sich Hunderte von Männern, Frauen und Kindern versammelt. Einige wolfsähnliche, halbwilde Hunde kläfften den Rückkehrern heiser entgegen. Die Benommenheit, die Li so lang umfangen hatte, war wie weggeblasen.
    Toruk und seine Männer ließen sich für ihren Beutezug feiern, während einige der im Lager Gebliebenen sich um die Pferde kümmerten. Li wurde förmlich aus dem Sattel gerissen. Dutzende von Kindern fassten sie an.
    »Sie sieht wie eine aus dem Han-Volk aus«, hörte sie eine Frau sagen, »wie die Soldaten, die euren Vater und eure älteren Brüder umgebracht haben!«
    Daraufhin starrten die Kinder Li wie einen bösen Geist an. Sie wichen zunächst unwillkürlich zurück, während ihre Mutter ihnen sagte, dass die meisten Gefangenen dem Han-Volk aus dem Reich der Mitte
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