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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin
Autoren: Aufbau
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beschuldigt.
    |560| Das zweite Hauptargument, das die Kirche gegen Johannas Papstamt anführt, stützt sich darauf, daß zwischen den Pontifikaten
     der Päpste Leo IV. und Benedikt III. zu wenig Zeit vergangen sei, als daß Johanna das Amt des Papstes hätte innehaben können.
     Aber dieses Argument ist mehr als fragwürdig. Eine sorgfältige Überprüfung der frühesten päpstlichen Dokumente enthüllt eine
     vielsagende Auslassung: Zwar wird als Todestag Leos IV. der 17. Juli genannt, aber die
Jahresangabe
fehlt. Diese Auslassung hätte es späteren Chronisten leicht gemacht, das Todesjahr Leos von 853 in das Jahr 855 zu verlegen
     – also über jene zwei Jahre hinweg, in denen Johanna ihr Papstamt innehatte –, um auf diese Weise den Eindruck zu erwecken,
     Papst Benedikt III. sei der unmittelbare Nachfolger Papst Leos IV. gewesen. 1
    Die Geschichte bietet viele weitere Beispiele einer derartigen vorsätzlichen Aktenfälschung. Die Bourbonisten datierten gar
     die Regierungszeit Ludwigs XVIII. schlicht und einfach vom Todestag seines Bruders an und »übersprangen« dabei keinen Geringeren
     als Napoleon Bonaparte, der sich nun wahrhaftig nicht aus sämtlichen historischen Quellen entfernen ließ; dafür gibt es viel
     zu viele Chroniken, Tagebücher, Briefe und Dokumente anderer Art. Aber legt man dieses beinahe schon wahnwitzige Unterfangen
     unserem Problem zugrunde, wird dem Leser wohl deutlicher, wie vergleichsweise einfach es gewesen sein dürfte – noch dazu für
     die mächtige katholische Kirche und über die vielen Jahrhunderte hinweg – , Johanna aus den schriftlichen Quellen des neunten
     Jahrhunderts »verschwinden« zu lassen.
    |561| Außerdem gibt es indirekte Beweise – bestimmte Gegenstände und Maßnahmen – die nur sehr schwer zu erklären sind, sollte es
     tatsächlich niemals einen weiblichen Papst gegeben haben. Ein Beispiel ist die sogenannte »Sesselüberprüfung«, die für mehr
     als sechshundert Jahre ein Bestandteil der mittelalterlichen Papstwahl und -weihe gewesen ist. Nach Johannas Pontifikat –
     also ab der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts – mußte jeder neu gewählte Papst auf der
sella stercoraria
Platz nehmen (wörtlich übersetzt etwa: »Dung-Sessel«), der in der Mitte eine große Öffnung ähnlich einer Toilette aufwies;
     auf diesem Stuhl wurden die Genitalien des Erwählten untersucht, um sich davon zu überzeugen, daß es sich tatsächlich um einen
     Mann handelte. Anschließend verkündete der Untersuchende (für gewöhnlich ein Diakon) den Versammelten:
»Mas nobis nominats est«
– »unser Erwählter ist ein Mann.« Erst dann wurden dem Papst die Schlüssel zu Sankt Peter ausgehändigt. Diese Zeremonie wurde
     bis ins sechzehnte Jahrhundert beibehalten. Sogar Alexander Borgia mußte sich dieser peinlichen Untersuchung unterziehen,
     obwohl seine Frau ihm zum Zeitpunkt der Wahl bereits vier Söhne geboren hatte, die er stolz als seine Kinder anerkannte.
    Die katholische Kirche streitet die Existenz der
sella stercoraria
auch gar nicht ab; denn diesen Stuhl gibt es noch heute in Rom. Auch wird von kirchlicher Seite nicht bestritten, daß dieser
     Stuhl über Jahrhunderte hinweg bei der Zeremonie der Papstweihe benutzt wurde. Doch wird vielfach die Behauptung erhoben,
     daß der Stuhl nur seines »schönen und beeindruckenden Äußeren« wegen verwendet worden sei; daß die Sitzfläche ein Loch aufweist,
     habe »keine besondere Bedeutung«. Diese Argumentation ist, gelinde gesagt, absurd. Der Stuhl hat einstmals offensichtlich
     als Toilette gedient, oder vielleicht auch als Entbindungsstuhl. Kann man davon ausgehen, daß ein Gegenstand, der einstmals
     zu derart ordinären und »weltlichen« Zwecken benutzt wurde, als
Papstthron
gedient hat, ohne daß es einen guten Grund dafür gegeben hätte? Wohl kaum. Und falls die »Geschlechtsuntersuchung« der Päpste
     tatsächlich ins Reich der Phantasie gehört – wie erklärt sich dann die Vielzahl der Zoten, Scherze und Lieder, die sich auf
     diesen Stuhl beziehen und die beim Volk von Rom jahrhundertelang weit verbreitet gewesen sind? Zugegeben, wir reden hier von
     Zeiten der Unwissenheit und des Aberglaubens, |562| doch das mittelalterliche Rom war eine eng zusammengewachsene, ja,
zusammengedrängte
Gemeinschaft: Viele Menschen wohnten nur einen Steinwurf weit vom Papstpalast entfernt; viele ihrer Väter, Brüder, Söhne und
     Vettern waren Prälaten, die bei den Papstweihen dabeigewesen sind und die
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