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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin
Autoren: Aufbau
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Konkurrenten durchsetzen können.
     Anastasius betrachtete diesen Thronwechsel als eine im großen und ganzen begrüßenswerte Entwicklung. Arnulf war klüger, gerissener
     und stärker als seine Vorgänger, Lothar eingeschlossen. Und darauf zählte Anastasius. Denn in Sachen Papst Stephans mußte
     dringend etwas unternommen werden.
    Erst letzte Woche hatte Stephan einen Skandal verursacht, als er zum Entsetzen von ganz Rom befohlen hatte, die sterblichen
     Überreste seines Vorgängers, Papst Formosus, aus dem Grab zu zerren und ins Patriarchum zu bringen. Dort hatte Stephan die
     Leiche in einen Stuhl setzen lassen und bei einer makaberen, nachgestellten »Gerichtsverhandlung« den Vorsitz geführt; er
     hatte Formosus mit Vorwürfen und Schmähungen überhäuft und der Leiche als Strafe für »eingestandene |552| Verbrechen« zum Schluß gar drei Finger der rechten Hand abgetrennt – jene Finger, mit denen ein Papst den Segen erteilte.
    »Ich appelliere an Eure Majestät«, schrieb Anastasius, »nach Rom zu kommen und den Exzessen dieses Papstes ein Ende zu bereiten,
     sind sie doch eine Schande für die gesamte Christenheit.«
    Ein plötzlicher Krampf in Anastasius’ Hand ließ die Schreibfeder so heftig erbeben, daß Tintentropfen über das saubere Pergament
     spritzten. Fluchend tupfte der alte Mann die Tintenkleckse mit einem Tuch auf; dann legte er die Feder zur Seite, streckte
     die Finger und rieb die Hände aneinander, um den Schmerz zu lindern.
    Seltsam
, dachte Anastasius mit bitterer Ironie,
daß ein Mann wie Stephan zum Papst gewählt wurde, während ich, der für dieses Amt durch meine vornehme Herkunft und hohe Bildung
     doch so hervorragend geeignet war, wieder einmal leer ausgegangen bin.
    Dabei war Anastasius seinem großen Ziel damals nahegekommen, so greifbar nahe! Nach dem Tod Papst Johannes’ und der schockierenden
     Entdeckung, daß dieser Papst in Wirklichkeit eine Frau gewesen war, hatte Anastasius das Patriarchum von seinen Leuten besetzen
     lassen und hatte den Thron des heiligen Petrus für sich beansprucht – mit dem Segen Kaiser Lothars.
    Was hätte er alles bewirken können, wäre er auf dem Papstthron geblieben! Doch es hatte nicht sollen sein. Eine kleine, aber
     einflußreiche Gruppe von Klerikern hatte sich vehement gegen ihn ausgesprochen. Mehrere Monate lang war die Frage, wer der
     neue Papst werden sollte, erbittert debattiert worden, und mal hatte die eine, mal die andere Partei wie der sichere Sieger
     ausgesehen.
    Doch am Ende war Lothar davon überzeugt gewesen, daß eine beträchtliche Anzahl von Römern sich niemals mit Anastasius als
     neuem Papst abfinden würden, und er hatte daraufhin beschlossen, seinen Kurs zu ändern und seinem Schützling die Unterstützung
     zu versagen. Man hatte Anastasius abgesetzt und ihn in Schimpf und Schande ins Kloster von Trastevere geschickt.
    Damals glaubten alle, damit wäre es aus und vorbei mit mir,
ging es Anastasius nun durch den Kopf.
Aber sie haben mich unterschätzt.
    Mit Geduld, Können und Diplomatie hatte er sich wieder |553| nach oben gekämpft und schließlich das Vertrauen von Papst Nikolaus gewonnen. Nikolaus hatte ihn mit dem hohen Amt des päpstlichen
     Bibliothekars betraut – eine Stellung, die mit Macht und Privilegien verbunden war und die Anastasius seit nunmehr über dreißig
     Jahren innehatte.
    Jetzt, im außergewöhnlich hohen Alter von fünfundachtzig Jahren, wurde Anastasius verehrt und geachtet und allgemein seiner
     großen Gelehrtheit wegen gerühmt. Kirchenmänner, Wissenschaftler und Gelehrte aus aller Welt kamen nach Rom, nur um mit ihm
     zu sprechen und sein Meisterwerk zu bewundern, der
Liber Pontificalis
, die offizielle Chronik der Päpste. Erst im vergangenen Monat hatte ein fränkischer Erzbischof namens Arnaldo um die Erlaubnis
     gebeten, für seine Dombibliothek eine Abschrift dieses Werkes anfertigen zu lassen, und Anastasius hatte großzügig seine Zustimmung
     erteilt.
    Der
Liber Pontificalis
war Anastasius’ Gewähr für die Unsterblichkeit und sein Nachlaß an die irdische Welt. Vor allem aber war dieses Werk Anastasius’
     letzte Rache an seinem verhaßten Rivalen – an jenem Menschen, der ihm im Jahre 853 den Ruhm verwehrt hatte, für den das Schicksal,
     da war er gewiß, ihn bestimmt hatte. Anastasius hatte Päpstin Johanna aus dem offiziellen Papstregister gestrichen; im
Liber Pontificalis
wurde nicht einmal ihr Name erwähnt.
    Damit hatte Anastasius zwar nicht seinen
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