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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin
Autoren: Aufbau
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bringen.«
    Benommen, wie aus weiter Ferne, hörte Johanna Desiderius’ Worte. Er hatte recht. Sie mußte dafür sorgen, daß Gerold die angemessenen
     Ehrungen und Würdigungen zuteil wurden; mehr konnte sie nicht mehr für ihn tun.
    Als Johanna sich erhob, durchfuhr sie ein so schrecklicher Schmerz, daß sie sich krümmte, zu Boden fiel und keuchend nach
     Atem rang. Ihr Körper wand sich in schrecklichen Krämpfen, gegen die sie sich nicht zur Wehr setzen konnte. |549| Sie spürte einen furchtbaren Druck auf sich lasten, so, als wäre ein riesiges Gewicht auf sie hinuntergestürzt. Der Druck
     wanderte im Innern ihres Körpers immer tiefer und tiefer, bis Johanna das Gefühl hatte, er würde sie förmlich auseinanderreißen.
    Das Kind,
durchfuhr es sie.
Es kommt.
    »Der Papst ist vom Teufel besessen!« rief Desiderius voller Erschrecken. »
Deus misereatur!«
    Die Menschen schrien und weinten; fassungslos starrten sie auf das furchtbare Geschehen.
    Aurianos, der oberste Exorzist, kam nach vorn geeilt. Er besprenkelte Johanna mit Weihwasser, während er mit feierlicher Stimme
     intonierte: »
Exorcizo te, creatura mali, in nomine Dei patris omnipotentis et in nomine Jesu Christi filii eius Domini nostri …«
    Aller Augen waren auf Johanna gerichtet; jeder erwartete, den bösen Geist aus ihrem Mund oder den Ohren entweichen zu sehen.
    Johanna schrie, als mit einer letzten schrecklichen Schmerzwoge der Druck in ihrem Innern wich und ein gewaltiger Blutschwall
     aus ihrem Leib schoß.
    Abrupt verstummte Aurianos’ monotone Stimme, und fassungsloses Schweigen breitete sich aus.
    Unter dem Saum der weiten weißen Roben Johannas, die nun mit ihrem Blut getränkt waren, war der winzige bläuliche Körper einer
     Frühgeburt zu sehen.
    Desiderius gewann als erster die Fassung wieder. »Ein Wunder!« rief er und ließ sich auf die Knie fallen.
    »Hexenwerk!« brüllte eine andere Stimme, und die Umstehenden bekreuzigten sich.
    Mit einemmal drängten die Leute nach vorn, um sich anzuschauen, was geschehen war. Sie schubsten und stießen sich und kletterten
     vor Neugierde sogar übereinander hinweg, um besser sehen zu können.
    »Zurück! Zurück mit euch!« riefen die Diakone und benutzten ihre Kruzifixe, um die unruhige, brodelnde Menge in Schach zu
     halten. An mehreren Stellen in der langen Reihe der Prozession kam es zu Schlägereien, und die Wachtposten stürmten dorthin
     und brüllten mit rauhen Stimmen Befehle.
    Johanna hörte dies alles wie aus weiter Ferne. Als sie auf der Straße lag, in ihrem eigenen Blut, überkam sie plötzlich |550| ein unfaßbares, erhabenes Gefühl inneren Friedens. Die Straße, die Menschen, die farbenprächtigen Banner der Prozession erstrahlten
     in wundervoll leuchtenden Farben vor ihrem geistigen Auge, wie die Fäden eines riesigen Wandteppichs, dessen Muster sie allein
     zu erkennen vermochte.
    Noch einmal wuchs ihr gewaltiger Geist heran, bis er die Leere in ihrem Innern füllte. Sie wurde in ein wundervolles, strahlendes
     Licht gebadet. Glaube und Zweifel, Wille und Verlangen, Herz und Verstand – endlich, am Ende ihres Weges, erkannte Johanna,
     daß dies alles eins war und daß dieses Eine Gott war.
    Das Leuchten wurde heller. Lächelnd ging sie darauf zu, während die Lichter und Laute der irdischen Welt schwächer und schwächer
     wurden und schließlich erloschen, wie der Mond, wenn die Morgenröte kommt.

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    |551| Epilog
Zweiundvierzig Jahre später
    Anastasius saß an seinem Schreibpult im Scriptorium des Lateranpalastes und schrieb einen Brief. Seine knotigen Hände, steif
     und arthritisch vom Alter, schmerzten bei jedem Strich mit der Feder. Doch ungeachtet des Schmerzes schrieb Anastasius weiter.
     Der Brief war äußerst wichtig und mußte schnellstens abgeschickt werden.
    »An Seine erhabene königliche und kaiserliche Majestät Arnulf«, kritzelte er.
    Kaiser Lothar war seit langer Zeit tot; schon wenige Monate nach seiner Abreise aus Rom war er im Jahre 855 gestorben. Sein
     Thron war zuerst an seinen Sohn Ludwig den Jüngeren übergegangen und dann, nach dessen Tod, an Lothars Neffen, Karl den Dicken.
     Doch beide waren schwache, mittelmäßige Herrscher gewesen. Mit dem Tod Karls des Dicken im Jahre 887 war die karolingische
     Linie, die mit Karl dem Großen begonnen hatte - oder Charlemagne, wie er nun weithin genannt wurde - erloschen. Arnulf von
     Kärnten hatte sich beim Streit um den kaiserlichen Thron 887 in Tribur gegen eine Schar von
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