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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin
Autoren: Aufbau
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hätten es sogar als ihre
Pflicht
betrachtet. Hinkmar beispielsweise, Erzbischof von Reims und Zeitgenosse Johannas, hat in seinen Briefen und Chroniken häufig
     Informationen zurückgehalten, die der Kirche Schaden hätten zufügen können. Selbst der große Theologe Alkuin schreckte nicht
     davor zurück, an der Wahrheit zu drehen; in einem seiner Briefe gesteht er, einen Bericht über die Unkeuschheit und den Ämterkauf
     durch Papst Leo III. vernichtet zu haben.
    Insofern sind die schriftlichen Hinterlassenschaften von Johannas Zeitgenossen mit Vorsicht zu genießen. Dies gilt insbesondere
     für die römischen Prälaten, die ein starkes persönliches Interesse daran hatten, die Wahrheit zu unterdrücken. Bei den seltenen
     Gelegenheiten, da ein Pontifikat für ungültig erklärt wurde – wie es bei Johanna der Fall gewesen wäre, hätte man ihre weibliche
     Identität entdeckt –, wurden sämtliche bereits getroffenen Anordnungen, Erlasse und Entscheidungen des betreffenden Papstes
     automatisch null und nichtig. Sämtlichen Kardinälen, Bischöfen, Diakonen und Priestern, die von diesem Papst die Weihe empfangen
     hatten, wurden ihre Titel und Ämter aberkannt. Insofern kann es nicht verwundern, daß in den Dokumenten und Akten, die von
     diesen Männern geführt bzw. kopiert wurden, sich nirgends eine Erwähnung Johannas findet.
    Um zu beobachten, auf welche Weise gut aufeinander abgestimmte Organe eines gleichermaßen rücksichtslosen wie effizienten
     Staatsapparates peinliche Beweise »verschwinden« lassen können, braucht man nur einen Blick auf Beispiele aus der heutigen
     Zeit zu werfen, etwa auf Nicaragua oder El Salvador. Erst Jahre später, nachdem die Zeit ein wenig Abstand zu den Vorfällen
     geschaffen hat, kommt die Wahrheit allmählich ans Licht – eine Wahrheit, die unter anderem von der unauslöschlichen mündlichen
     Überlieferung sowie späteren Zeitzeugen bewahrt wurde. Und in der Tat gibt es in späteren Jahrhunderten keinen Mangel an Quellenmaterial
     über Johannas Pontifikat. Der deutsche Historiker Friedrich Spanheim, der eine umfangreiche |559| Studie über dieses Thema verfaßt hat, zitiert nicht weniger als
fünfhundert
alte Manuskripte, die Berichte über Johannas Amtszeit enthalten; zu den Verfassern zählen so anerkannte Autoren wie Petrarca
     oder Boccaccio.
    Heute wird Johanna von der katholischen Kirche als »Erfindung« protestantischer Reformer betrachtet, die darauf bedacht gewesen
     seien, die papistische Korruption zu enthüllen. Doch Johannas Geschichte wurde bereits Jahrhunderte vor Martin Luthers Geburt
     niedergeschrieben. Außerdem waren die meisten Chronisten Johannas Katholiken, die hohe Ämter in der kirchlichen Hierarchie
     innehatten. Johannas Geschichte wurde sogar in einigen »offiziellen« Geschichtswerken über die Päpste aufgeführt. In der Kathedrale
     von Siena stand ihre Statue unbestritten und unangefochten neben denen anderer Päpste – bis zum Jahre 1601, als sie auf Anordnung
     Papst Clemens’ VIII. plötzlich in ein Standbild Papst Zacharias’ »umgewandelt« wurde.
    Doch im Jahre 1276, nachdem man eine gründliche Durchsuchung der päpstlichen Akten und Urkunden vorgenommen hatte, änderte
     Papst Johannes XX. seinen Amtsnamen in Johannes
XXI.
– als offizielle Anerkennung des Pontifikats Johannas als Papst Johannes VIII. Johannas Geschichte wurde in den offiziellen
     kirchlichen »Reiseführer« für die Stadt Rom aufgenommen, der mehr als drei Jahrhunderte von Pilgern benutzt wurde.
    Ein weiteres stichhaltiges historisches Beweisstück wurde in den Akten des ausführlich dokumentierten Prozesses gefunden,
     der 1413 wegen Ketzerei gegen Johannes Hus geführt wurde. Hus wurde verurteilt, weil er die häretische Lehre gepredigt hatte,
     der Papst sei
nicht
unfehlbar. Zu seiner Verteidigung führte Hus eine Vielzahl von Beispielen an, da Päpste gesündigt oder Verbrechen gegen die
     Kirche begangen hatten. Jede dieser Klagen wurde von Hus’ Richtern – allesamt Kirchenmänner – in allen Einzelheiten beleuchtet,
     als unrichtig zurückgewiesen und als ketzerisch abgestempelt. Nur eine der Aussagen Hus’ wurde akzeptiert: »Päpste sind viele
     Male der Sünde und dem Irrtum anheimgefallen, so zum Beispiel, als Johanna zum Papst gewählt wurde, obwohl sie eine Frau war.«
     Kein einziger der 28 Kardinäle, 4 Patriarchen, 30 Metropoliten, 206 Bischöfe und 440 Theologen hat Hus dieser Aussage wegen
     der Lüge oder Blasphemie
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