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Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)

Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)

Titel: Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)
Autoren: Cordula Stratmann
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    Jetzt stand ich doch wieder auf der Straße.
    Gut, werden Sie sagen, das ist für eine Maus nichts Ungewöhnliches, aber ich hatte in den vergangenen zwei Jahren tatsächlich mit dem Straßenleben abgeschlossen. Ich hatte ernsthaft gedacht, das mit Tim sei etwas für die Ewigkeit.
    Tim und Britta. Wir wollten die Welt aus den Angeln heben. Dieses Bild muss man für eine Maus natürlich etwas herunterbrechen, aber jeder, der uns in unserer Blütezeit begegnet ist, weiß, wir hatten das Zeug dazu.
    Es hat nicht sollen sein. Ich habe das in den letzten sechs Monaten durchaus gespürt. Je fester es wurde zwischen uns, je öfter ich ansprach, dass auch ich einen Kinderwunsch in mir trage, desto unruhiger wurde Tim. Dazu muss man wissen, dass es sich bei Tim um eine chinesische Reisfeldmaus handelt, nicht wie bei mir um eine europäische Hausmaus.
    Es macht einen großen Unterschied, ob Sie Ihr Leben irgendwann unter freiem Himmel in einem Reisfeld Ihre Geschwister jagend begonnen haben oder ob Sie wie ich zwar auch manche Zeit draußen, aber doch überwiegend in verschiedenen Haushalten mit Küche und Bad gewohnt haben. Ich wollte das lange Zeit nicht wahrhaben, aber irgendwann konnte auch ich nicht umhin zu bemerken, dass Tim in dem Keller, den wir zuletzt bewohnten, immer weniger er selbst war. Ich träumte natürlich auch davon, irgendwann wieder etwas komfortabler zu hausen, diesen Keller irgendwann eintauschen zu können gegen eine schöne Vier-Zimmer-Wohnung mit gefülltem Speiseschrank und Menschen, die vor uns erschreckten.
    Aber dies war nicht Tims Traum. Tims Traum lautete: raus aus den vier Wänden, unter freiem Himmel leben. Solange es seine Abenteuerlust bedient hatte, hatte er es rasend spannend gefunden, mit mir die unterschiedlichsten menschlichen Behausungen aufzusuchen. Aber in den vergangenen Wochen äußerte er beinahe täglich, dass er sich langweile, dass er mittlerweile alles gesehen habe an Häusern und deren Innenleben und dass er wieder rausmüsse. Und dann fiel der für mich niederschmetternde Satz. Aus seinem Schnäuzchen. Das ich bis dahin so oft geküsst hatte. Das mir bis dahin so wundervolle Liebeserklärungen gemacht hatte.
    »Britta«, sagte Tim, »ich bin nicht bereit für das Leben, das du mit mir führen möchtest.«
    Mir zerriss es das Herz. Ich bekam meine Schnurrhaare nicht in den Griff und zitterte bis in die Schwanzspitze.
    Und er fuhr fort: »Halt mich nicht fest, ich muss zurück nach China. China boomt. Ich muss wissen, was da los ist.«
    Darüber hatten wir uns schon häufig unterhalten. Wie sehr ihm seine Kultur fehlte, seine Sprache. Sein Porzellan. Er fühlte sich so schrecklich weit weg von seinen Wurzeln.
    Und mir wurde klar, dass ich ihn verloren hatte. Er würde wieder nach China zurückgehen, und wenn ich ihm dabei nicht folgen wollte, dann bedeutete das unsere Trennung.
    Aber ich war Hausmaus durch und durch! Ich liebte es, einen Teil meines Lebens in den Rohren unter der Stadt zu verbringen, um danach immer wieder in einem anderen Haushalt zu landen und mich am menschlichen Leben zu ergötzen! Meine Güte, Sie sind ja vielleicht ein illustres Völkchen! Eins der wichtigsten Nachschlagewerke in der Tierwelt ist das 12-bändige »Launen der Natur – der Mensch«, in dem eine Gruppe Schoßhunde ihre Erfahrungen zusammengefasst hat. Insofern waren mir die einen oder anderen, ich sag mal, Schrullen schon bekannt. Aber wenn man einmal mit Ihnen zusammenwohnt, das merken Sie selbst wahrscheinlich gar nicht, weil das für Sie alles so normal ist, aber da schaut man sich als Artfremder doch so manches Mal um!
    Unsere beste Zeit hatten Tim und ich, als wir nacheinander in vier Haushalten durch ständiges Verräumen von Gegenständen die Bewohner beinahe in den Wahnsinn trieben. Leider reagierten alle durch die Bank humorlos auf das Verschwinden von frisch gefüllten Kartoffelschüsseln, Badezimmerschlüsseln, Schnürsenkeln, Zahnbürsten – eben allen möglichen Sachen mit ü.
    Gut, in solchen Dingen sind Sie wahrscheinlich origineller als wir.
    Merken Sie auch, wie ich gerade von meiner schmerzvollen Geschichte ablenke?

      
    Nun war Tim weg.
    Wir hatten noch lange miteinander gerungen, ebenso mit seinem Entschluss, Deutschland zu verlassen. Aber nun stand es fest: Ich war wieder allein.
    Ich hatte es mir nicht nehmen lassen, Tim zum Hafen zu begleiten und vom Ufer aus dem Schiff hinterherzuschauen, bis es wirklich nicht mehr zu sehen war. Das
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