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Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)

Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)

Titel: Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)
Autoren: Cordula Stratmann
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erwartungsvolle Leuchten in Tims Augen, als er sich von mir ein letztes Mal verabschiedete, bestätigte mir, wie richtig diese Entscheidung für ihn war, es kränkte mich aber auch erheblich. Zumal er, noch auf der Rampe, spielend leicht Kontakt zu einer Cook-Maus fand – so sah es zumindest von Weitem aus –, die vermutlich den Heimweg nach Südostasien antrat.
    Es dauerte noch eine Weile, bis der Riesendampfer ablegte, und ich war so bescheuert, weiter zu beobachten, wie diese Schlampe das ganze Programm abfuhr: gegen Tim stolpern, sich debil lachend von ihm auffangen lassen, mit einem Hinterbein am anderen rauf- und runterfahren, sich lasziv mit einer Pfote durchs Fell gehen und über seine Scherze abgeiern, als hätte man nie zuvor einen geistreicheren Unterhalter getroffen. Dieser ganze würdelose Mist eben. Ich stand da, unfähig mich zu bewegen, und in meinem Hirn dockte ungebeten die Erinnerung an unser Kennenlernen zwei Jahre zuvor an. Es war auf einem Schiff gewesen. Ich war auf der Rampe gestolpert und gegen Tim gekippt. Er hatte mich sofort mit seinen starken Beinen aufgefangen. Da ich wahnsinnig kalte Pfoten hatte, fuhr ich mit dem einen Hinterbein immer am anderen rauf und runter. Das sah natürlich süß aus und verfehlte auch seine Wirkung nicht. Und als ich mir dann noch mit einer Pfote lässig das Haar aus der Stirn strich, da sagte Tim: »Guten Tag, mein Name ist Tim Dae Yong, und ich komme aus Leverkusen, einem kleinen Vorort von Guangdong im Süden Chinas, unweit der Städte Shantou, Shenzhen, Zhangjiang, Zhuhai.«
    Ich hatte nie zuvor einen geistreicheren Unterhalter getroffen.
    Als der Dampfer endlich außer Sichtweite war, gelangte ich langsam in die Gegenwart zurück und empfand diese als kalt und erbärmlich. Ich beschloss, erst einmal ins Kino zu gehen. Leider stellte ich fest, dass um diese Uhrzeit in mehreren Kinos die Vorstellungen begannen und entsprechend großes Gedränge in den Foyers herrschte. Somit war mir der direkte Zugang in den Kinosaal verwehrt, denn ich hatte jetzt absolut keine Nerven für kreischende Damen.
    Ich musste also den Weg zu einem Vorführsaal unter der Erde, durch den Keller hindurch, wählen und landete prompt in Kino 4, wo die Romantiker sich »Harry und Sally« hingaben. Das war für meine Verfassung natürlich so richtiger Bockmist, um es einmal grob zu sagen. Als Tim und ich uns kennenlernten, hatte ich nämlich eine gewisse Ähnlichkeit mit Meg Ryan, weil ich zu der Zeit die Haare ähnlich trug. Es versteht sich von selbst, dass »Harry und Sally« unser Film war. Hier musste ich nun möglichst schnell wieder raus.
    Ich kauerte schließlich in einer dunklen Ecke im Foyer, das sich mittlerweile geleert hatte, und gab mich meinem Schmerz hin, bis ich irgendwann, erschöpft von der psychischen Anstrengung, in einen unruhigen, unglücklichen Schlaf fiel.
    Als ich erwachte, bemerkte ich, dass eine mitfühlende Seele in der Zwischenzeit dafür gesorgt hatte, dass ich im Schlaf nicht auskühlte, sondern unter einem Faltblatt des Programmkinos geschützt lag. Über diese freundliche Geste verlor ich erneut die Fassung, ganz dunkel erinnerte ich mich auch an eine Bewegung über mir, bevor ich weggesackt war. Als hätte mir jemand die Hand reichen wollen.

      
    Unser Abschied lag bereits acht Wochen zurück, acht Wochen, und ich hatte tatsächlich nichts mehr von Tim gehört. Das waren acht harte Wochen, in denen ich auf dem dünnen Drahtseil balancierte, das ich über meinen inneren Abgrund gespannt hatte. Ich streifte durch die Gegend und blieb mal hier eine Nacht, mal dort. Als ich dann allerdings den Zustand erreicht hatte, in dem es mir sogar egal wurde, ob ich mir regelmäßig die Zähne putzte – und bei Mäusen ist das wirklich ein verschwindend geringer Aufwand! –, brach ich den Weg in die Verwahrlosung ab und bewegte mich hin zu einer Hausmaus, der niemand, auch ein Tim aus China nicht, die Selbstachtung rauben konnte.
    Ich bin im Grunde eine sehr entschlussfreudige Maus, ich schaue mir eine Situation an, bilde mir dazu flugs eine Meinung und ziehe daraus entsprechende Schlüsse. Dieses Naturell kam mir jetzt zugute, sonst wären aus den acht Wochen vielleicht sogar acht Jahre geworden. Solche Mäuse gibt es auch.
    Und wie hätte mich Tim aus China überhaupt erreichen sollen, selbst wenn er gewollt hätte? Gegen die Anschaffung eines Handys hatte ich mich immer vehement gewehrt, weil ich das mit der Strahlung nicht ganz geheuer fand. Die
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