Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)

Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)

Titel: Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)
Autoren: Cordula Stratmann
Vom Netzwerk:
weiteten sich die Augen des Mädchens, und ich glaube, für einen Moment sahen wir einander zum Verwechseln ähnlich, denn auch ihr hing nun beinahe die Zunge heraus, weil sich ihre Kinnlade öffnete. Bestimmt kriegte sie sich gerade nicht darüber ein, dass ich sprechen konnte. Kenn ich, den Moment. Wenn Sie eine Maus sind und einen Menschen nach dem Weg fragen, meinen Sie mal bloß nicht, dass Sie aus dem Kontakt mit einer Wegbeschreibung rausgehen. Wenn das Menschenkind nicht im selben Moment schreiend die Flucht antritt, als hätte es ein Gespenst gesehen, dann steht es regungslos vor Ihnen und hält Maulaffen feil. Meistens bin ich dann diejenige, die die Situation auflöst, weil ich keinen Sinn darin sehe, mit einem wildfremden Menschen auf der Straße herumzustehen, um einander anzuschweigen.
    Nun taucht hier schon wieder die Frage auf, warum ich als Maus überhaupt sprechen kann. Das ist ganz schnell erklärt.
    Als Hausmaus war es mir schon sehr früh klar, dass Menschen in meinem Leben häufig eine Rolle spielen würden. Schließlich aß ich ständig ihre Einkäufe, schlief in ihren Rohren oder Zimmerecken, verkroch mich hin und wieder in ihre Handschuhe, Schals, Laken. Insofern war mir auch schnell klar, dass es, wenn auch ungewollt, sicher die eine oder andere Begegnung mit einem Menschen geben würde. Und zumindest für mich war es immer selbstverständlich, dass ich die Sprache dessen beherrsche, der mich beherbergt. Das handhabt aber jede Maus unterschiedlich.
    Nun ist es ja so, dass Sie immer denken, hui, die deutsche Sprache ist aber auch schwer, huihui! Wer soll die bloß lernen, diese unheimlich schwere deutsche Sprache, oijoijoi! Also, aus meiner Erfahrung kann ich Ihnen sagen, das war relativ pillepalle. Ganz ernsthaft. Vielleicht bin ich nicht gerade der Maßstab, weil ich recht sprachbegabt bin; ich kann auch Friesisch, Hessisch und Venezolanisch. Und ein bisschen Chinesisch.
    Das fällt mir einfach zu.
    Ich habe vom ersten Moment an, als ich mich in die Nähe von Menschen begab, ganz genau hingehört und mir einen Wortschatz zugelegt, über den verfügt manch einer von Ihnen nicht. Entschuldigung, das muss in Ihren Ohren sehr arrogant klingen, dann biete ich Ihnen jetzt im Tausch direkt die Information, dass ich eine absolute Null im Backen bin.
    Aber nun zurück zu Polly, die mich immer noch ohne Worte, jetzt im Schneidersitz, anschaute.
    Ich tat, was ich immer tat in solchen Situationen: Ich eröffnete das Gespräch. »Hi.«
    Wichtig ist es im Erstkontakt, diesen möglichst offen zu gestalten, damit das sich anschließende Gespräch noch alle Optionen hat. Das musste ich auch erst lernen, früher habe ich die Leute eher zugetextet, weil ich dieses ratlose Schweigen und vor allem diesen Schrecken in den Augen meines Gegenübers schlecht aushalten konnte. Und weil ich eben auch immer so stolz darauf war, sprechen zu können, das kam noch hinzu. Im Laufe der Jahre habe ich mich in diesen Punkten entspannt. Eine langsame Annäherung sorgt im folgenden Kontakt einfach für mehr Substanz. Das ist meine Erfahrung. Wenn ich die Menschen mich so lange anstarren lasse, wie jeder Einzelne das braucht, dabei freundlich aber bestimmt den Blick halte und irgendwann, wenn mein Bauch mir sagt, jetzt!, meinetwegen nur ein »Hm?« zur Eröffnung einstreue, dann fassen sie in der Regel recht schnell Vertrauen und sind bereit zum nächsten Schritt.
    Was viele von Ihnen wahrscheinlich nicht wissen, ist, dass Sie und wir nämlich recht gut zueinanderpassen. Wir Mäuse sind kultiviert, intelligent, mit einer angeborenen Herzensbildung.
    Ich selbst bin dazu noch mit einem gewissen Ehrgeiz ausgestattet. Das habe ich von meinem Vater übernommen. Mein Vater hat sich sein Leben lang – nicht ganz zu Unrecht – etwas darauf eingebildet, dass er, aus einer vollkommen ungebildeten Familie stammend, in Eigenleistung das Rechnen, sieben Fremdsprachen erlernt und das Abnagen des Karwendelgebirges (es ist leider vollständig nachgewachsen) geschafft hat. Mir und meinem Bruder hat er stets vermittelt, dass man zwar als Maus ins Leben starten kann, weil es die Biologie für einen nun einmal so vorgesehen hat, dass man dann aber in der Entwicklung nach den Sternen greifen soll. Nicht in Brehms Tierleben nachschlagen, ach, ich bin eine Maus, was kann man denn da so, sondern sich in der Welt umschauen und ruhig mal denken, ich bin zwar kein Mensch, aber immer nur Fiepfiep ist mir zu wenig, ich knöpf mir jetzt einfach mal die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher