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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut
Autoren: Torkil Damhaug
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Mädchen zu haben ist allemal besser, als Pfadfinder zu werden, Sport zu treiben oder Hausaufgaben zu machen.«
    Jo amüsiert sich. Jakka ist echt ein cooler Typ. Kaum zu glauben, dass er sich mit ihm abgibt, Lust hat, mit einem Zwölfjährigen zu reden, und zwar nicht nur über belangloses Zeug, sondern über wirklich wichtige Dinge. Jo braucht nicht mehr daran zu denken, dass seine Mutter und Arne dort drin im Restaurant sind, die Sau rauslassen und sich lächerlich machen. Die können machen, was sie wollen. Mit denen ist er fertig.
    *
    Er geht durch den Sand. Er brennt, aber er spürt es nicht. Das weiße Licht durchdringt alles. Ylva Richter geht neben ihm. Sie trägt ihren Bikini mit den roten Herzen.
Ich kenne einen Ort, wo uns niemand sieht,
sagt sie.
Eine Höhle, in der wir ganz allein sein können.
Sie gehen bis ans Ende des Strands. Um sie herum wachsen Blumen direkt aus dem Sand.
»Wie kann nur etwas an solch einem Ort wachsen?«,
fragt Ylva. Darauf hat Jo keine Antwort, also fragt sie vielleicht doch nicht, sondern schmiegt sich einfach an ihn, während er seinen Arm um ihre nackten Schultern legt.
    In diesem Moment hört er das Klappern von Schlüsseln vor der Tür. Er schnappt sich ein Handtuch und bedeckt sich damit.
    Vor ihm steht seine Mutter. Sie stützt sich am Türrahmen ab.
    »Hallo, mein Schatz«, sagt sie lächelnd und blinzelt in seine Richtung. Etwas Rotes ist über die Träger ihres Kleids gelaufen. »Sitzt du hier im Dunkeln?«
    Als Antwort verzieht er nur das Gesicht.
    »Ich glaube, ich bin ein bisschen müde«, erklärt sie und zerrt sich die hochhackigen Schuhe von den Füßen.
    Sie nimmt eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank, füllt ein Glas und trinkt. Das Wasser läuft aus ihren Mundwinkeln in den sonnenverbrannten Spalt zwischen ihren Brüsten.
    Danach kommt sie ins Wohnzimmer, streicht ihm im Vorbeigehen über die Haare, beugt sich zu Nini hinunter und lauscht auf ihren Atem. Sie dreht sich wieder um und steht jetzt dicht vor ihm.
    »Schön, so einen tollen großen Bruder zu haben.«
    Ihre Stimme ist ein bisschen wackelig und unsicher, doch sie ist nicht betrunken. Sie umarmt ihn und küsst ihn auf die Wange. Ihr Atem riecht nach Wein, ihr Parfüm erinnert an Flieder. Er windet sich, dreht den Kopf jedoch nicht weg.
    Sie geht aufs Klo, pinkelt lange, spült und wäscht sich die Hände. Dann taucht sie im Türrahmen auf.
    »Willst du etwa den ganzen Abend im Dunkeln sitzen?«
    Er zuckt die Schultern.
    »Gibt ja nicht mehr Zimmer hier.«
    »Komm mal rüber zu mir. Ab und zu müssen wir doch miteinander reden.«
    Er folgt ihr. Sie räumt die Kleider vom Doppelbett, Slips, Unterhemden und einen nassen Bikini, hängt sie über den Deckel des Koffers, der in der Ecke steht, und legt sich auf die Bettdecke. Jo lehnt sich an die Wand.
    »Setz dich zu mir«, sagt sie und klopft auf den Rand der Matratze.
    Er tut, was sie sagt. Will ihr nicht erzählen, was er davon hält, dass sie so viel trinkt und sich vor allen Leuten zum Gespött macht.
    »Du bist ein guter Junge, Jo«, sagt sie. Am liebsten würde er sie bitten, die Schnauze zu halten oder genau zu erklären, was sie damit meint. »Du weißt ja, dass es in letzter Zeit nicht so einfach war«, fährt sie fort. Das weiß er nur zu genau. Und versteht es trotzdem nicht. Will es auch gar nicht verstehen. Er hat Angst, was geschieht, wenn sie darüber zu sprechen beginnt. »Ich hab’s auch nicht immer leicht«, murmelt sie, und Jo will am liebsten aufstehen und gehen. Er hört ihrer Stimme an, dass sie den Tränen nahe ist. »Es gibt vieles, was du nicht weißt, Jo.« Sie streicht ihm über den Hinterkopf. »Ich brauche jemand, der mich mal richtig in den Arm nimmt.« Der Gedanke, sich über sie zu beugen, ist unerträglich. Jetzt hört er, dass sie still in sich hineinweint. Er versucht aufzustehen. Sie glaubt, dass er sich zu ihr umdreht, und zieht ihn zu sich heran. Sein eines Bein bleibt auf dem Boden, das andere liegt auf dem Bett. »Du warst doch immer mein lieber Junge. Ich werde auf dich aufpassen.« Sie lügt, denkt er. Der Fliedergeruch ist jetzt so stark, dass ihm speiübel wird. Und dahinter nimmt er den Geruch ihrer Haut wahr, nach Schweiß und Zwiebeln und etwas, das ihn an den Küchenlappen denken lässt, wenn er seit Tagen nicht ausgewrungen wurde und er ihn unter den Tellern in der Spüle findet. Sein eines Bein tut weh, sodass er es auch aufs Bett ziehen muss. Nun liegt er der Länge nach neben ihr. Sie hat einen Arm
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