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Inselglück

Inselglück

Titel: Inselglück
Autoren: Elin Hilderbrand
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Meredith Martin Delinn
    Sie hatten vereinbart, über nichts Bedeutsames zu sprechen, bevor Meredith sicher in dem Haus auf Nantucket angelangt war. Nun lag erst einmal der Highway vor ihnen. Meredith kannte ihn nur allzu gut. Es gab dreiundneunzig langweilige Ausfahrten in Connecticut, ehe sie Rhode Island und eine knappe Stunde später Massachusetts erreichten. Als sie die Sagamore Bridge überquerten, ging die Sonne auf und verlieh dem Cape Cod Canal einen fröhlichen rosa Schimmer, der Meredith in den Augen wehtat. Auf der Brücke herrschte kein Verkehr, obwohl heute der 1. Juli war; deshalb fuhr Connie auch so gern nachts.
    Schließlich kamen sie in Hyannis an, einer Stadt, die Meredith Anfang der 1970er einmal mit ihren Eltern besucht hatte. Sie erinnerte sich, dass Deidre Martin, ihre Mutter, darauf bestanden hatte, am Grundstück der Kennedys vorbeizufahren. Es war bewacht gewesen; Bobbys Ermordung lag erst wenige Jahre zurück. Meredith erinnerte sich, dass Chick Martin, ihr Vater, sie ermuntert hatte, ein Hummersandwich zu kosten. Meredith war erst acht Jahre alt gewesen, aber Chick Martin hatte Vertrauen in ihre Kultiviertheit gehabt. Hochintelligent und begabt, pflegte Chick schamlos zu prahlen. Das Mädchen vertut sich nie. Meredith hatte den Hummersalat probiert und ausgespuckt, was ihr dann peinlich gewesen war. Ihr Vater hatte die Achseln gezuckt und das Sandwich selbst aufgegessen.
    Noch nach so vielen Jahren erfüllte die Erinnerung an Hyannis Meredith mit einer Scham, die selbst jene Scham überlagerte, welche Meredith empfand, seit man Freddy Delinn, ihren Ehemann, angeklagt hatte. Hyannis war der Ort, wo Meredith ihren Vater enttäuscht hatte.
    Gott sei Dank konnte er sie jetzt nicht sehen.
    Obwohl sie vereinbart hatten, über nichts Bedeutsames zu sprechen, wandte sich Meredith Connie zu, die – gegen besseres Wissen – beschlossen hatte, Meredith Obdach zu gewähren, zumindest fürs Erste, und sagte: »Gott sei Dank sieht mein Vater mich jetzt nicht.«
    Connie, die gerade auf den Parkplatz der Fähranlegestelle einbog, seufzte und entgegnete: »Oh, Meredith.«
    Meredith konnte Connies Ton nicht deuten. Oh, Meredith, du hast recht, es ist ein Segen, dass Chick seit dreißig Jahren tot ist und deinen kometenhaften Aufstieg und noch spektakuläreren Absturz nicht miterleben musste? Oder: Oh, Meredith, hör auf, dir selbst leidzutun? Oder: Oh, Meredith, ich dachte, wir hätten vereinbart, nicht darüber zu reden, bevor wir in meinem Haus sind; wir haben Regeln aufgestellt, und du trittst sie mit Füßen?
    Oder: Oh, Meredith, halt bitte den Mund?
    Auf jeden Fall verbarg Connies Ton, seit sie Meredith um zwei Uhr morgens abgeholt hatte, kaum ihre … was? Wut? Angst? Bestürzung? Und konnte Meredith ihr das verübeln? Sie und Connie hatten fast drei Jahre lang nicht miteinander geredet, und in ihrem letzten Gespräch hatten sie sich abscheuliche Dinge gesagt; sie hatten das eiserne Band ihrer Freundschaft zum Schmelzen gebracht. Oder: Oh, Meredith, was habe ich getan? Warum bist du hier? Ich wollte einen ruhigen, friedlichen Sommer erleben. Und jetzt habe ich dich, Teil eines widerlichen internationalen Skandals, auf meinem Beifahrersitz.
    Meredith beschloss, Connie nichts Böses zu unterstellen. »Oh, Meredith« war eine quasi-mitfühlende Nicht-Antwort. Connie fuhr vor zur Schranke und zeigte dem Angestellten ihr Fährticket; sie war abgelenkt. Die Sonne stand noch tief am Himmel, aber Meredith trug die Baseballkappe ihres Sohns Carver vom Choate-Internat und die einzige ihr verbliebene Sonnenbrille in ihrer Sehstärke, die zum Glück groß, rund und sehr dunkel war. Trotzdem wandte Meredith den Kopf ab. Keiner durfte sie erkennen.
    Connie steuerte den Wagen die Rampe hinauf in den Laderaum der Fähre. Hier drängten sich schon Autos dicht aneinander wie Sardinen in einer Büchse. Heute, am 1. Juli, war die Stimmung an Bord selbst zu dieser frühen Stunde ausgelassen. Jeeps quollen über von Badelaken und Hibachi-Grills; der Wagen vor Connies war ein alter Wagoneer, dessen Stoßstange mindestens sechzehn Strandaufkleber in allen Farben des Regenbogens zierten. Merediths Herz war verletzt, angeknackst, gebrochen. Sie mahnte sich, nicht an die Jungen zu denken, doch das führte erst recht dazu, dass sie an die Jungen dachte. Sie erinnerte sich, wie sie den Range Rover früher immer mit ihren Badesachen und Surftrikots und Flipflops beladen hatte, mit ihren Baseballhandschuhen und Sportschuhen, mit
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